Die Zukunft der Artillerietruppe – Rüstungsprojekte & Organisation

Die Zukunft der Artillerietruppe - Rüstungsprojekte & Organisation
Foto: Bundeswehr/Marco Dorow

Aktuell besteht die Artillerietruppe, wie gesagt, aus fünf Artilleriebataillonen. Das Artillerielehrbataillon 325 untersteht der 1. Panzerdivision, das Artillerielehrbataillon 345 der 10. Panzerdivision, das Artilleriebataillon 131 der Panzerbrigade 12, das neu aufgestellte Panzerartilleriebataillon 375 der Panzergrenadierbrigade 37 und das Artilleriebataillon 295 der Deutsch-Französischen Brigade. Bis 2035 soll die Artillerietruppe laut Verteidigungsministerium auf 13 Bataillone anwachsen. Allerdings finden sich auf Vortragsfolien des Heeres zu dem Thema nur zehn Artilleriebataillone wieder. Wie diese Diskrepanz zu erklären ist, ist nicht ganz sicher. Die logischste Erklärung wäre jedoch, dass das BMVg bei der Zahl 13 auch die drei niederländischen Artillerieverbände mitgezählt hat, die ebenfalls den Divisionen des Deutschen Heeres unterstehen. Man kann also davon ausgehen, dass die deutsche Artillerietruppe bis 2035 auf zehn Bataillone anwachsen wird. Ergänzt durch drei niederländische Verbände. Diese zehn Artilleriebataillone setzen sich aus einem Korpsartilleriebataillon, zwei Divisionsartilleriebataillonen und sieben Brigadeartilleriebataillonen zusammen. Das Korpsartilleriebataillon soll über insgesamt 36 Raketenartilleriesysteme des Typs „Zukünftiges System Indirektes Feuer großer Reichweite“ verfügen, gegliedert in drei schießende Batterien a 12 Raketenartilleriesysteme. Die dritte Batterie wird eine nicht-aktive Einheit sein. Bedeutet, die dritte Batterie wird zwar über Material verfügen, in Friedenszeiten aber nicht mit Personal bestückt sein. Das Korpsartilleriebataillon soll in der Lage sein, Ziele in einer Entfernung von mindestens 300 km aufzuklären und zu bekämpfen. Die Friedenskopfstärke des Bataillons soll rund 420 Mann betragen.

Die beiden Divisionsartilleriebataillone werden über Rohr- und Raketenartilleriesysteme verfügen und sollen in der Lage sein, Ziele in einer Entfernung von bis zu 150 km aufzuklären und zu bekämpfen. Beide Verbände werden über je vier schießende Batterien verfügen, wobei die vierte Batterie nicht aktiv sein wird. Die erste Batterie wird über 16 MARS II Raketenwerfer verfügen. Die zweite und dritte Batterie wird über jeweils neun Rohrartilleriesysteme verfügen, gegliedert in drei Geschützzüge a drei Haubitzen. Und die nicht-aktive vierte Batterie wird aus vier Geschützzügen bestehen: drei Rohrartilleriezüge mit je drei Haubitzen und einem Raketenartilleriezug mit vier Systemen. Bis zum Zulauf der RCH 155 werden die Divisionsartilleriebataillone mit der PzH 2000 ausgestattet. Die Friedenskopfstärke der beiden Bataillone soll je rund 700 Mann betragen. Unterstehen werden die Divisionsartilleriebataillone übrigens der 1. und 10. Panzerdivision. Die Division Schnelle Kräfte wird, stand jetzt, ohne Artillerie auskommen müssen.

Die sieben Brigadeartilleriebataillone unterteilen sich in vier schwere und drei mittlere Artilleriebataillone. Allerdings sind alle sieben Brigadeartilleriebataillone gleich gegliedert. Sie werden über jeweils drei schießende Batterie a neun Haubitzen verfügen. Auch hier wird die dritte Batterie eine nicht-aktive Einheit sein. Unterscheiden tun sich die Verbände jedoch bei der Ausstattung. Während die vier schweren Bataillone mit der PzH 2000 ausgestattet sein werden, sollen die drei mittleren Artilleriebataillone mit der RCH 155 ausgestattet werden. Ein weiterer Unterschied wird sein, dass die mittleren Artilleriebataillone nicht über eine Feuerunterstützungsbatterie verfügen werden, da die Kampftruppenbataillone der drei mittleren Brigaden bereits über organische Feuerunterstützungszüge verfügen. Die sieben Brigadeartilleriebataillone sollen in der Lage sein, Ziele in einer Entfernung von bis zu 70 km aufzuklären und zu bekämpfen. Die Friedenskopfstärke der schweren Artilleriebataillone wird bei ca. 555, die der mittleren bei 340 liegen. Der Unterschied von rund 200 Mann erklärt sich durch die fehlende Feuerunterstützungsbatterie und den höheren Automatisierungsgrad der RCH 155. Während die PzH 2000 eine Geschützmannschaft von fünf Personen benötigt, kommt die RCH 155 mit zwei aus. Allerdings soll auch die Geschützmannschaft der PzH 2000 im Rahmen eines Mid-Life-Updates reduziert werden.

Rüstungsprojekte

Aktuell verfügt die Artillerietruppe über lediglich 98 Panzerhaubitzen und 35 Raketenartilleriesysteme plus weitere Ausrüstung zur Aufklärung, wie z. B. das Artillerieortungsradar COBRA. Zukünftig soll die Artillerietruppe über 289 Rohrartilleriesysteme und 76 Raketenartilleriesysteme verfügen. Aber der Reihe nach. Die 98 in Nutzung befindlichen Panzerhaubitzen 2000 sollen bis 2031 einem Mid-Life-Update unterzogen werden, was deren Nutzungsdauer bis über 2040 hinaus verlängern soll. Im Rahmen dieser Modernisierung sollen Obsoleszenzen beseitigt, der Schutz und die Sekundärbewaffnung verbessert, die Besatzung reduziert und die maximale Kampfentfernung auf 75 km erhöht werden. Das Vorhaben läuft unter dem Titel „Zukünftiges System Indirektes Feuer mittlerer Reichweite – Panzerhaubitze 2000“. Allerdings ist das Vorhaben aktuell nicht mit Haushaltsmitteln hinterlegt. Darüber hinaus läuft aktuell die Nachbeschaffung von 22 neuen PzH 2000 für rund 470 Millionen Euro, finanziert mit Mitteln des Einzelplans 60. Die Nachbeschaffung dient dem Ersatz für an die Ukraine abgegebenes Material. Die Auslieferung soll bis Ende 2026 erfolgen. Der Vertrag beinhaltet darüber hinaus die Option auf sechs weitere Panzerhaubitzen. Der Bedarf des Heeres liegt bei insgesamt 121 Systemen.

PzH 2000 / Foto: Bundeswehr/Marco Dorow

Für die beiden Divisionsartilleriebataillone und die drei mittleren Brigadeartilleriebataillone sollen neue Radhaubitzen vom Typ RCH 155 angeschafft werden. Der Gesamtbedarf wird mit 168 Systemen angegeben. Die Zustimmung des Bundestages wird im Frühjahr 2025 erwartet und die ersten Systeme sollen ab 2029 zulaufen. Allerdings stehen aktuell nicht ausreichend Finanzmittel zur Verfügung, um dem Bedarf des Heeres vollständig entsprechen zu können. So soll in einem ersten Schritt lediglich eine mittlere zweistellige Anzahl für rund 1,3 bis 1,4 Mrd. Euro beschafft werden. Ob und wann dem Bedarf des Heeres vollständig entsprochen werden kann, ist aktuell nicht absehbar. Die Beschaffung soll im Übrigen in Kooperation mit Großbritannien erfolgen. Denn auch die British Army hat sich im Rahmen des Mobile Fires Platform-Programms für die RCH 155 entschieden. Wie viele Systeme die Briten beschaffen wollen, ist aktuell noch nicht bekannt. Erster Nutzer wird jedoch weder das Deutsche noch das Britische Heer sein, sondern die Ukraine. Diese wird insgesamt 54 RCH 155 im Rahmen der militärischen Unterstützungsleistungen von Deutschland erhalten.

RCH 155 / Foto: KNDS

Die 35 verbleibenden Mittleren Artillerieraketensysteme, kurz MARS, wurden in den letzten Jahren auf den sogenannten MARS II-Stand modernisiert und sollen zukünftig in den beiden Divisionsartilleriebataillonen zum Einsatz kommen. Da der Einsatzzweck eine maximale Kampfentfernung von 150 km erfordert, kann man davon ausgehen, dass für diese Systeme in den nächsten Jahren GMLRS-ER-Raketen angeschafft werden. Diese sind mit dem Raketenartilleriesystem kompatibel und verfügen über eine Reichweite von bis zu 150 km. Ein Fragezeichen gibt es hinsichtlich der Planungen fürs MARS II allerdings. So liegt der Bedarf des Heeres bei 40 Systemen, aktuell im Bestand sind aber wie gesagt nur 35. Ob man jetzt noch versucht, irgendwie fünf Systeme auf dem Weltmarkt nachzubeschaffen, oder diese durch das Zukünftige System Indirektes Feuer großer Reichweite ausgleichen will, bleibt abzuwarten. Da Letzteres den MARS II jedoch langfristig ersetzen soll, dürfte die zweite Option die wahrscheinlichere sein.

MARS II / Foto: Bundeswehr/Torsten Kraatz

Das „Zukünftige System Indirektes Feuer großer Reichweite“ soll in der Lage sein, gegen alle Zielarten und Kategorien auf Entfernungen von mindestens 300 km zu wirken. Es soll sowohl der direkten Feuerunterstützung als auch dem Kampf mit Feuer dienen und mit verschiedenen Raketen und Flugkörpersystemen bewaffnet werden. Aktuell sieht es danach aus, dass man sich für das israelische PULS-System entschieden hat. So gab Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Abteilungsleiter Rüstung im BMVg, Anfang September einen Überblick über die wichtigsten Beschaffungsvorhaben der einzelnen Dimensionen. Und in der Vortragsfolie zu den Vorhaben der Dimension Land wurde als zukünftiges Raketenwaffensystem der PULS abgebildet und genannt. Allerdings steht die Beschaffung des PULS-Systems schon seit Längerem im Raum. So sollten zunächst fünf Stück als Ersatz für die an die Ukraine abgegebenen MARS II beschafft werden. Bisher verzögert sich die Beschaffung jedoch immer weiter. Einer der Gründe dafür ist wohl, dass nach wie vor nicht geklärt ist, ob die GMLRS-Raketen aus US-Produktion vom PULS verwendet werden können oder besser gesagt dürfen. Die Schwierigkeiten sind hier wohl nicht technischer Natur, sondern eher rechtlicher. Für das Heer ist diese Frage jedoch durchaus wichtig, da man bereits über einen gewissen Bestand genannter Raketen verfügt und diese künftig auch weiterhin verwenden muss. Zumindest solange der MARS II noch im Dienst ist. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Rheinmetall kürzlich in Zusammenarbeit mit Lockheed Martin das Raketenartilleriesystem GMARS vorgestellt hat. Dieses basiert auf dem amerikanischen HIMARS-System, welches sich bereits in der Ukraine bewährt hat, und verfügt über zwei statt nur einen Pod. Bedeutet: GMARS kann doppelt so viele Raketen und Lenkflugkörper mitführen wie HIMARS und verfügt folglich auch über eine deutlich höhere Feuerkraft. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die Bundeswehr auch noch GMARS angucken wird, bevor sie eine Entscheidung bezüglich des Zukünftigen Systems Indirektes Feuer großer Reichweite trifft. Der Bedarf des Heeres liegt zunächst bei lediglich 36 dieser neuen Raketenartilleriesysteme zur Ausstattung des Korpsartilleriebataillons, langfristig soll das neue System aber wie gesagt auch die MARS II ablösen. Folglich dürfte der Gesamtbedarf bei 76 Systemen liegen. Finanziert ist das ganze Vorhaben aktuell übrigens nicht. Daher werden die ersten Systeme wohl erst Anfang der 2030er Jahre zulaufen.

EuroPULS / Foto: Clemens Speer

Fazit

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die Artillerie nach wie vor der König des Schlachtfeldes ist. Sie ist für die meisten Verluste auf beiden Seiten verantwortlich. Folglich unverständlich finde ich den langsamen Aufbau der Artillerietruppe. Bis 2035 ist schlichtweg zu spät, wenn die Bundeswehr in fünf bis acht Jahren kriegstüchtig sein soll. Eins ist sicher: Ohne leistungsstarke Artillerie würde zumindest das Heer nicht kriegstüchtig sein. Meiner Meinung nach sollte der Aufbau von Artillerie- und Flugabwehrfähigkeiten für das Heer oberste Priorität haben. Dafür benötigt es natürlich jede Menge Geld, welches die Bundesregierung aktuell nicht finden kann oder will. Das Stichwort lautet hier mal wieder: dauerhafte Erhöhung des regulären Verteidigungshaushaltes auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dann wären auch die Vorhaben RCH 155 und PULS im benötigten Umfang finanzierbar. Eins ist an dieser Stelle noch wichtig anzumerken: Die gerade vorgestellte Struktur stellt einen Zielzustand im Jahr 2035 dar. Verbindlich wird das Ganze erst, wenn diese Struktur offiziell gebilligt wurde. Es kann daher noch zu signifikanten Abweichungen kommen. Sollte dies der Fall sein, hoffe ich, dass die Zahlen noch etwas nach oben korrigiert werden und nicht nach unten. Zu Zeiten des Kalten Krieges, genauer gesagt der Heeresstruktur IV, war das Verhältnis von Kampftruppe zu Artillerietruppe eins zu zwei. Das sollte man in meinen Augen wieder anstreben. Bei 26 Kampftruppenbataillonen würde das 13 Artilleriebataillone bedeuten, wohlgemerkt deutsche und nicht irgendwelche niederländischen miteingerechnet. Die haben nämlich ebenfalls Kampftruppenbataillone, die es zu unterstützen gilt.

Mein Videobeitrag zur Thematik:

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