Erstmals seit Ende des Kalten Krieges hat Deutschland wieder einen nationalen militärischen Verteidigungsplan. Dieser als Operationsplan Deutschland bezeichnete Plan ist eine Reaktion auf die veränderte sicherheitspolitische Lage auf dem europäischen Kontinent nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Da der Operationsplan Deutschland als geheim eingestuft ist, ist bisher nicht sonderlich viel darüber bekannt. Was wir bisher wissen, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
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Entstehung
Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 hat die europäische Friedensordnung nachhaltig erschüttert und zwingt Deutschland dazu, seine Sicherheitspolitik neu auszurichten. In der NATO wurden die gemeinsamen Planungen bereits an die veränderten Herausforderungen angepasst. Dabei ist der nach außen sichtbare Wille zur Verteidigung der Bündnispartner und zur glaubwürdigen Abschreckung zum Erhalt von Freiheit und Frieden handlungsleitend. Im Zuge der sicherheitspolitischen Neuausrichtung wird deutlich, dass Deutschland und seine Bevölkerung wehrhafter und resilienter werden müssen, um Bedrohungen und Aggressoren effektiv zu begegnen. Diese Herausforderungen sind jedoch nicht rein militärischer Natur, sondern erfordern ein gesamtstaatliches und gesamtgesellschaftliches Zusammenwirken unter dem Leitmotiv „Deutschland.Gemeinsam.Verteidigen.“.
Deutschland und die Bundeswehr müssen sich auf die aktuellen Bedrohungen sowie auf die territoriale Verteidigung in Frieden, Krise und im Ernstfall auch im Krieg vorbereiten. Vor diesem Hintergrund entwickeln Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Bundeswehr gemeinsam mit Bund, Ländern, Kommunen, den sogenannten Blaulichtorganisationen und der Wirtschaft im Rahmen einer gemeinsamen Planungsgruppe den militärischen Anteil einer gesamtstaatlichen Verteidigungsplanung: den Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU). Dabei handelt es sich um ein geheimes Dokument, das kontinuierlich im Operativen Führungskommando der Bundeswehr bearbeitet und fortlaufend aktualisiert wird. Seit Anfang März 2023 wurde der OPLAN DEU im Territorialen Führungskommando der Bundeswehr konkret ausgearbeitet. Am 23. Mai 2024 billigte der Generalinspekteur der Bundeswehr die erste Iteration und beauftragte zugleich deren Weiterentwicklung. Vom 19. bis 21. November 2024 erfolgte schließlich ein erster Stresstest des Plans. In der Julius-Leber-Kaserne in Berlin überprüften rund 200 Personen in einer zivil-militärischen Zusammenarbeit erstmals den Operationsplan Deutschland und sammelten wertvolle Erkenntnisse für dessen weitere Optimierung.

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Ziel
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ist eine Reaktion auf die sich verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa. Er bündelt die zentralen militärischen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den hierfür notwendigen zivilen Unterstützungsleistungen in einem operativ ausführbaren Plan. Dadurch wird sichergestellt, dass im Krisen- und Konfliktfall nach einer politischen Entscheidung zielgerichtet und innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens gehandelt werden kann. Der OPLAN DEU legt Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten fest, um gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland, seine territoriale Integrität und seine Bevölkerung zu schützen und zu verteidigen. Darüber hinaus gewährleistet er den Aufmarsch alliierter Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke. Ziel ist es, eine schnelle Handlungsfähigkeit über alle Ressort- und Ländergrenzen hinweg sicherzustellen.

Bedrohungen
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) berücksichtigt ein breites Spektrum an möglichen Bedrohungen, die sich aus der aktuellen sicherheitspolitischen Lage in Europa ergeben. Neben Desinformation und Informationskriegskampagnen werden dabei auch Cyberangriffe sowie Sabotageaktionen durch Spezialeinsatzkräfte und andere Gruppierungen in den Blick genommen. Auch der Schutz kritischer Infrastrukturen wie Flughäfen, Häfen, Bahnhöfen und Kraftwerken gegen Luftschläge mithilfe von Kamikaze-Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen spielt eine wichtige Rolle. Damit ergänzt der OPLAN DEU die bereits beschriebenen Ansätze zur Landes- und Bündnisverteidigung und stellt sicher, dass Deutschland in allen Bereichen, von der Abwehr von Desinformation bis hin zum Schutz vor militärischen Angriffen, wirksam reagieren kann.

Akteure
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) sieht eine enge Zusammenarbeit zwischen einer Vielzahl staatlicher und ziviler Akteure vor, um im Krisen- und Konfliktfall rasch reagieren zu können. Neben der Bundeswehr – insbesondere dem Operativen Führungskommando, den Landeskommandos und den Heimatschutzkräften – sind dabei unter anderem Bundes- und Landespolizeien, Feuerwehren, das Technische Hilfswerk (THW) sowie Rettungsdienste eingebunden. Auch Länder und Kommunen sowie eine Reihe von Privatunternehmen, etwa Fluggesellschaften, Bahnen, Reedereien, Speditionen, Krankenhäusern und Sanitäts- sowie Sicherheitsdiensten, leisten einen entscheidenden Beitrag. Diese vielfältige Akteurslandschaft gewährleistet einen ganzheitlichen Ansatz, mit dem Deutschland den im Plan skizzierten Bedrohungen begegnen und seine territoriale Integrität sowie die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten kann.

Inhalte
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) deckt den Einsatz der Bundeswehr in Frieden, Krise und Krieg in Deutschland ab und reicht von Aufgaben des Heimatschutzes bis hin zur nationalen territorialen Verteidigung. Er legt fest, wie die Bundeswehr zusammen mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren das Land und seine Bevölkerung schützt und verteidigt und wie gleichzeitig der Aufmarsch alliierter Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke sichergestellt werden kann. Dabei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle als Drehscheibe (Host Nation Support) zu, um im Falle einer sich zuspitzenden sicherheitspolitischen Lage große Truppenkontingente rasch an die NATO-Ostflanke zu verlegen. Dieser schnelle Transport und die fortlaufende Versorgung mehrerer hunderttausend Soldatinnen und Soldaten sind zentrale Elemente der konventionellen Abschreckung der Allianz.
Im OPLAN DEU werden daher Anforderungen sowohl an die Bundeswehr als auch an andere staatliche und zivile Akteure festgehalten, damit die gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Verteidigung reibungslos funktioniert. Konkret schreibt der Plan vor, welche Verkehrswege für den Transport genutzt werden können, welche Brücken geeignet sind, wo Rastplätze eingerichtet werden sollen und wie diese Objekte geschützt werden müssen. Die Sicherung dieser Verkehrswege bedarf einer engen Abstimmung mit der Polizei sowie weiteren zivilen Institutionen. Auf diese Weise werden die militärischen Maßnahmen mit den zivilen Unterstützungsleistungen verknüpft, wodurch sich ein ganzheitliches Verteidigungs- und Unterstützungskonzept ergibt.
Ein wesentlicher Bestandteil des OPLAN DEU ist die zivil-militärische Zusammenarbeit. Diese Koordination hat das Ziel, die gegenseitige Unterstützung von militärischer und ziviler Seite zu gewährleisten. So ist es für eine erfolgreiche Umsetzung des Plans unabdingbar, alle Abläufe auch mit den zivil-hoheitlichen Strukturen auf Länder- und Bundesebene sowie mit zivil-gewerblichen Akteuren zu verzahnen. Damit wird der Operationsplan Deutschland zu einem operativ ausführbaren Instrument, das sicherstellt, dass alle beteiligten Stellen im Ernstfall schnell, abgestimmt und effektiv handeln können.

Probleme
Obwohl mit dem Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ein erster Schritt getan ist, um den Schutz Deutschlands und den Aufmarsch verbündeter Streitkräfte an der NATO-Ostflanke sicherzustellen, gibt es in der praktischen Umsetzung noch erhebliche Herausforderungen. So reicht ein Plan allein nicht aus, um abschreckend zu wirken: Er muss auf funktionierenden Strukturen, einem passenden Rechtsrahmen sowie auf ausreichender Infrastruktur, Material und Personal aufbauen. Dies erfordert nicht nur einen klaren politischen Willen, sondern auch beträchtliche finanzielle Mittel und vor allem Zeit – Ressourcen, die derzeit nur begrenzt verfügbar sind.
Ein wesentlicher Engpass zeigt sich bei der Infrastruktur. Wie General Bodemann hervorhebt, müssen Straßen, Brücken und Gleisanlagen ertüchtigt werden, um Tausende Soldatinnen und Soldaten sowie Militärtransporte von West nach Ost bewegen zu können. Gleichzeitig muss man sich auch Gedanken über Rücktransporte machen, etwa von Flüchtlingen, Verwundeten, Gefallenen und Kriegsgefangenen. Die Verkehrsnetze sind dafür nicht ausgelegt, was eine zeitnahe Anpassung notwendig macht.
Hinzu kommen unzureichende Transportkapazitäten. Der frühere kommandierende General der U.S. Army in Europa, General a. D. Frederick Benjamin Hodges, kritisiert bereits seit Jahren, dass die Anzahl der Flachwagen für den Schienentransport von Fahrzeugen viel zu gering sei. Aktuell lassen sich damit lediglich eineinhalb mechanisierte Brigaden bewegen, während realistisch acht bis zehn Brigaden gleichzeitig transportiert werden müssten. Außerdem ist die Bundeswehr auf zivile Unternehmen angewiesen, um die nötigen Transporte auf Straße und Schiene abzudecken. Verträge mit diesen Firmen sind jedoch oft schwierig abzuschließen, da militärische Bedarfe in Friedenszeiten kaum planbar und für die Wirtschaft wenig attraktiv sind.
Auch die sogenannten Blaulichtorganisationen stellen einen wichtigen Pfeiler in der Sicherheitsarchitektur dar. Laut General Bodemann muss die Zusammenarbeit in Krisen- und Kriegszeiten jedoch „andersherum“ erfolgen als bei bisherigen Katastrophenhilfen. Nachdem die Bundeswehr zivile Institutionen bei Waldbränden oder Hochwassern unterstützt hat, soll nun im Ernstfall die Blaulichtseite militärische Aufgaben – etwa in Sachen Schutz und Versorgung – mittragen. Da auch diese Organisationen in den letzten Jahren nicht gerade im Geld schwammen, bedarf es zusätzlicher Mittel und einer generellen Stärkung ihrer Einsatzfähigkeit, damit sie den geforderten Beitrag leisten können.
Schließlich stellt auch der Personalmangel in der Reserve ein gravierendes Problem dar. Zwar plant die Bundeswehr derzeit die Schaffung von 6000 Dienstposten für Heimatschutzkräfte bis 2026, um verteidigungswichtige Infrastruktur in Deutschland zu schützen, doch nach Aussage von General Bodemann wird man wohl noch mehr brauchen. Zudem überschneiden sich ehrenamtliche Engagements: Wer bereits beim Technischen Hilfswerk aktiv ist, kann nicht gleichzeitig für die Reserve eingeplant werden. Hier gilt es im OPLAN DEU klar zu regeln, auf welche Personen im Ernstfall tatsächlich verlässlich zurückgegriffen werden kann.

Fazit
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ist ein notwendiger Schritt, um Deutschlands Verteidigungsfähigkeit angesichts der sich verändernden Bedrohungslage in Europa zu stärken. Er baut auf einer umfassenden zivil-militärischen Zusammenarbeit auf und bündelt militärische wie auch zivile Ressourcen, um eine rasche Reaktion im Krisen- oder Konfliktfall sicherzustellen. Die größte Herausforderung liegt dabei in der praktischen Umsetzung: Das erfordert zum einen die angemessene Anpassung von Infrastruktur und Transportkapazitäten, zum anderen muss auch die Reserve personell aufgestockt und besser koordiniert werden. Zudem bedürfen die Blaulichtorganisationen einer intensiveren Unterstützung, damit sie ihren entscheidenden Anteil in Krisenszenarien leisten können. Kurz gesagt: Der OPLAN DEU bietet einen klaren Handlungsrahmen, allerdings müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam die nötigen Investitionen tätigen und Strukturen schaffen, damit Deutschland tatsächlich jederzeit wehrhaft und handlungsfähig ist.