Am 09. Juni, also genau in einer Woche, ist die Europawahl. Höchste Zeit, einen Blick in die Wahlprogramme der Parteien zu werfen. Natürlich konzentrieren wir uns hierbei auf die sicherheits- und verteidigungspolitischen Aspekte dieser. Da ich nicht alle 35 Parteien, die in Deutschland zur Europawahl antreten, behandeln kann, beschränke ich mich auf die laut jüngsten Umfragen acht wichtigsten. Stand 15. Mai sind dies CDU/CSU, AfD, SPD, Grüne, BSW, FDP, Linke und die Freien Wähler.
CDU/CSU
Wir beginnen mit der CDU/CSU, die mit rund 30-Prozent in den Umfrageergebnissen die wahrscheinlich stärkste Kraft werden dürfte. Der sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Teil befindet sich gleich ganz vorne an erster Stelle im Wahlprogramm. Einen so prominenten Platz haben diese Themen sonst bei keiner anderen der hier berücksichtigten Parteien. Ziel der CDU/CSU ist die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsunion. Also keine europäische Armee, sondern eine wesentlich engere Zusammenarbeit innerhalb der EU im militärischen Bereich. Diese Verteidigungsunion soll in die Strukturen der NATO eingebettet sein und auch das Vereinigte Königreich soll bestmöglich eingebunden werden. Damit die EU bei sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen künftig schneller handlungsfähig ist, will man sich für Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen und den Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik stärken. Im Bereich der Rüstungsgüter und Rüstungsexportregeln will man weg vom nationalen Klein-Klein hin zu einem europäischen Binnenmarkt. Militärische Ausrüstung soll gemeinsam entwickelt und beschafft werden und es soll eine wehrtechnische Industriestrategie erarbeitet werden. Darüber hinaus will man, Zitat: „deutlich mehr Mittel für Innovationen und für die Erfüllung unserer militärischen Bedürfnisse bereitstellen”. Die Bedrohung durch Russland wird auch klar beim Namen genannt und man will die Ukraine weiterhin umfassend unterstützen.
Mein Videobeitrag zur Thematik:
AfD
Kommen wir zur vermutlich zweitstärksten Kraft der AfD. Diese liegt in den aktuellen Umfragen bei rund 15/16 Prozent, knapp vor der SPD. Der sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Teil befindet sich erst auf Platz acht. Die „zentralistischen Bestrebungen der EU“ werden entschieden abgelehnt. Stattdessen will man eine EU als Wirtschafts- und Interessengemeinschaft. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als auch der Europäische Auswärtige Dienst werden ebenfalls abgelehnt. Allerdings sieht auch die AfD, dass Zitat: „die Zukunft der europäischen Sicherheit liegt in der Bündelung der militärischen Fähigkeiten der Staaten in einem eigenen System kollektiver Sicherheit“ liegt. Man will die europäischen Streitkräfte in einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenfassen. Eine europäische Armee wird jedoch abgelehnt. Also so ähnlich wie die CDU/CSU mit ihrem Vorschlag einer Verteidigungsunion. Das Ziel soll sein, weitgehende militärische und strategische Autonomie zu erreichen. Auch im Bereich der Entwicklung und Beschaffung militärischer Ausrüstung will man weiterhin zusammenarbeiten. Dabei sollen deutsche Interessen aber stärker geschützt werden. Die Beschaffung von Rüstungsgütern soll vornehmlich aus deutscher und europäischer Produktion erfolgen. Also weniger US-Material. Mit den USA will man darüber hinaus eine Partnerschaft „auf Augenhöhe“. Hinsichtlich Russland will man sich dafür einsetzen, dass „legitime Sicherheitsinteressen“ berücksichtigt werden und die Wirtschaftssanktionen sofort aufgehoben werden. Den Ukraine will man diplomatisch lösen und für friedliche deutsch-russische Beziehungen sorgen. In der Beziehung zu China will man sich an den realpolitischen Interessen orientieren, eine offensive Beteiligung Deutschlands an dem Projekt „Neue Seidenstraße“ und einen Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit anstreben.
SPD
Womit wir zur SPD kommen. Diese liegt in aktuellen Umfragen ebenfalls bei rund 15 Prozent, knapp hinter der AfD. Der sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Teil befindet sich auf Platz 2, also auch weit vorne. Man will den europäischen Pfeiler in der NATO stärken und hält an der Vision einer europäischen Armee fest. In der Zwischenzeit soll die Ausbildung auf EU-Ebene harmonisiert und im Rahmen der European Sky Shield Initiative kräftig in die gemeinsame Luftverteidigung investiert werden. Auch die SPD will, genauso wie die CDU/CSU, das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik stärken. Darüber hinaus will man einen eigenständigen Rat der Verteidigungsminister einrichten. Auch will man, Zitat: „Mehr Anreize für kollaborative Ausgaben für Verteidigung auf europäischer Ebene setzen.“ Indem man zum Beispiel den europäischen Verteidigungsfonds besser ausstattet. Im Bereich der Rüstungsexportpolitik will man sich für ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen einsetzen. Dazu soll ein Übereinkommen auf europäischer Ebene zu Rüstungsexporten getroffen werden. Auch die Abrüstung und Rüstungskontrolle will man aktiv vorantreiben. So will man sich beispielsweise für ein internationales Regelwerk zu bewaffneten Drohnen und für wirksame Regulierung in den Bereichen Biowaffen, Cyber und Künstliche Intelligenz einsetzen. Das langfristige Ziel der SPD bleibt eine atomwaffenfreie Welt. Zu guter Letzt will man sich noch dafür einsetzen, dass die Ukraine und Moldau Teil der EU werden.
Grüne
Kommen wir zu den Grünen. Aktuellen Umfragen zufolge ebenfalls bei rund 15 %, knapp hinter der SPD. Der sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Teil befindet sich auf Platz 3. Die Grünen wollen die Integration und Interoperabilität der Streitkräfte auf europäischer und transatlantischer Ebene vorantreiben und die gemeinsame EU-Kommandostruktur und europäische Militärkooperationsinitiativen vertiefen. Wie zum Beispiel die Ständige strukturierte Zusammenarbeit. Zivile und militärische Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollen finanziell und personell gestärkt werden. Ziel ist eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion mit einer starken parlamentarischen Beteiligung und Kontrolle. Auch im Bereich der Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern will man verstärkt zusammenarbeiten und den europäischen Rüstungssektor konsolidieren. Mittelfristig will man ein rechtssicheres außer budgetäres Finanzinstrument schaffen, das die bestehenden Einzelprogramme, wie zum Beispiel den europäischen Verteidigungsfonds, ersetzt. Bei all der Zusammenarbeit besteht man jedoch weiterhin auf restriktive Ausfuhrregeln für Rüstungsgüter. Dazu will man eine Rüstungsexportkontrollverordnung beschließen. Na, wenn das die Franzosen mal mitmachen. Auch die Rüstungskontrolle will man natürlich stärken. So will man beispielsweise, dass sich die EU für eine Stärkung des Vertrags zur Nichtverbreitung von Kernwaffen einsetzt. Mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Zu guter Letzt will man die Unterstützung der Ukraine im Rahmen der europäischen Friedensfazilität verstetigen.
BSW
Womit wir zum Newcomer in der Runde kommen, dem Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW. Aktuellen Umfragen zufolge bei rund 6 % und damit fünftstärkste Kraft. Europa soll zu einem eigenständigen Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte zu sein und sich den Interessen der USA unterzuordnen. So steht es im Wahlprogramm. Nur mit militärischen Fähigkeiten will man diese Forderung nicht hinterlegen. So will man die Europäische Verteidigungsagentur in eine Europäische Agentur für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion umwandeln, den Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus EU-Mitgliedstaaten und die militärischen Strukturen und Instrumente der EU abbauen. Die dadurch frei gewordenen Finanzmittel sollen dann für Instrumente der zivilen Konfliktlösung eingesetzt werden. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik will man Gott sei Dank nicht abschaffen, allerdings am Einstimmigkeitsprinzip festhalten. Sanktionen, die den Zugang zu Rohstoffen und Energieträgern versperren, sollen abgeschafft werden. Der Elefant im Raum sind hier natürlich die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Und man will den „Ausbau der Überland-Handelswege zu den Wachstumsregionen Asiens offen halten“. Was wiederum ein Code-Wort für die chinesische Seidenstraße-Initiative ist. Den Ukraine-Krieg will man auf dem Verhandlungsweg lösen. Und man ist gegen einen EU-Beitritt der Ukraine, Moldau und Georgien.
FDP
Kommen wir zur FDP. Aktuellen Umfragen zufolge bei rund 4 % und damit sechs stärkste Kraft. Geht es nach der FDP, sollen die Entscheidungen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik künftig mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Das Amt des Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik soll zu einem EU-Außenminister aufgewertet werden und der Europäische Auswärtige Dienst soll ebenfalls gestärkt werden. Darüber hinaus will man, dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik nachempfunden, auch einen Hohen Vertreter für die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik etablieren. Unter dessen Vorsitz will man auch einen europäischen Sicherheitsrat einrichten.
Ziel der Freien Demokraten ist die Schaffung einer europäischen Verteidigungsunion als Zwischenschritt zu einer Europäischen Armee. Dafür will man Strukturen und Instrumente wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit und den Europäischen Verteidigungsfonds stärken sowie Rüstungsgüter gemeinsam entwickeln und beschaffen. Auch im Bereich der Nachrichtendienste will man verstärkt zusammenarbeiten und zum Beispiel, das EU Intelligence Analysis Centre zu einem europäischen Nachrichtendienst ausbauen. Hinsichtlich der Ukraine setzt man sich für die weitergehende Unterstützung und die NATO-Beitrittsperspektive für das Land ein. Russland will man in multilateralen Organisationen isolieren und die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs sowie die Schaffung eines Sondertribunals für das Verbrechen des Angriffskriegs unterstützen. Gegenüber China will man eine von unseren Werten geprägte EU-Strategie schaffen und wirtschaftlich unabhängiger werden. Strategische Initiativen wie Global Gateway sollen als Antwort auf die chinesische „Belt and Road“-Initiative gestärkt werden.
Linke
Womit wir zu den Linken kommen. Aktuellen Umfragen zufolge bei rund 3 % und damit siebt stärkste Kraft. Man will die „militärische Aufrüstung“ und Auslandseinsätze stoppen und sich für gegenseitige Sicherheit, Abrüstung und strukturelle Nichtangriffsfähigkeit einsetzen. Eine EU-Armee wird selbstverständlich abgelehnt und die bestehenden Strukturen und Instrumente, wie zum Beispiel die EU-Battlegroups, die Europäische Verteidigungsagentur usw., sollen aufgelöst werden. Die Mittel aus dem europäischen Verteidigungsfonds, der europäische Friedensfazilität und die Ausgaben für „Militärische Mobilität“ sollen für Investitionen in den sozial ökologischen Umbau und Energieunabhängigkeit umgewidmet werden. Großmanöver wie Air Defender oder die dauerhafte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen werden als unnötige Provokationen angesehen und abgelehnt. Rüstungsexporte sollen gesetzlich verboten werden. Und der militärisch-industrielle Komplex in Europa soll zurückgebaut werden. Ich wusste gar nicht, dass wir einen haben. Abgesehen davon setzt man sich für ein Massenvernichtungswaffen freies Europa ein und will beispielsweise, dass die EU dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt, eine Wiederauflage des INF-Vertrages und mit Russland über die Eliminierung taktischer Atomwaffen vom Atlantik bis zum Ural verhandeln. Na dann, good luck, have fun.
FW
Womit wir zu einer Partei kommen, die etwas mehr sicherheits- und verteidigungspolitischen Sachverstand in ihrem Wahlprogramm bewiesen hat. Den Freien Wählern. Aktuellen Umfragen zufolge ebenfalls bei rund 3 % und nur knapp hinter den Linken. Die Freien Wähler wollen sich für den Aufbau einer europäischen Armee, ergänzend zu den nationalen Streitkräften, einsetzen. Diese soll vor allem für Auslandseinsätze im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements eingesetzt werden. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO will man konsequent umsetzen und bei Verfehlung des Ziels sogar finanzielle Sanktionen gegen den betreffenden Mitgliedstaat bis zur Höhe von 2 Prozent des BIP verhängen. So deutlich steht keine andere der hier genannten Parteien hinter dem Zwei-Prozent-Ziel. Die Beschaffung von Rüstungsgütern soll möglichst auf die europäische Ebene verlagert und die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit schnellstmöglich intensiviert werden. Um sich besser gegen Bedrohungen aus dem Cyber- und Informationsraum zur Wehr setzen zu können, will man ein gemeinsames Cyberabwehrzentrum der EU aufbauen, welches eng mit dem NATO-Cyberabwehrzentrum in Tallinn zusammenarbeiten soll. Die Ukraine will man weiterhin unterstützen und zum Sieg verhelfen. Darüber hinaus setzt man sich für einen beschleunigten EU- und NATO-Beitritt der Ukraine ein. Die Sanktionen gegen Russland sollen weiterhin umgesetzt und regelmäßig evaluiert werden. Gegenüber China will man zu einer neuen Strategie finden, die die wirtschaftlichen Abhängigkeiten deutlich reduziert. Und sich für ein klares Bekenntnis zur Eigenständigkeit Taiwans und den Auf- und Ausbau diplomatischer Beziehungen zum Inselstaat einsetzen.
Fazit
Zum Schluss ein kurzes Fazit meinerseits. Ich denke, ich habe die wichtigsten Punkte aus den jeweiligen Wahlprogrammen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik hier zusammengefasst. Aber natürlich nicht alle. Daher habe ich euch die Wahlprogramme in der Videobeschreibung zum Nachlesen verlinkt. Ich werde euch an dieser Stelle sicherlich keine Partei empfehlen oder verraten, welche Partei ich wählen werde. Nur so viel will ich gesagt haben: Wer sicherheits- und verteidigungspolitische Themen für relevant hält, soll nicht die AfD, das BSW oder die Linken wählen. Ich habe versucht, hier möglichst neutral zu bleiben. Aber deren Wahlprogramme sind aus sicherheits- und verteidigungspolitischer Sicht schlichtweg Träumerei, wenn nicht schlimmeres. Alle anderen genannten Parteien kann man, denke ich, aus sicherheits- und verteidigungspolitischer Sicht problemlos wählen.