Die Bundeswehr verfügt aktuell über rund 181.000 aktive Soldaten. Bis 2031 soll die Truppe auf eine Friedensstärke von 203.000 Männern und Frauen anwachsen. Hinzu kommen 60.000 beorderte Reservisten. Allerdings scheint das Erreichen dieser Ziele, insbesondere des ersten, aktuell äußerst unwahrscheinlich. Denn die aktive Truppenstärke stagniert bereits seit längerem und nimmt teilweise sogar etwas ab. Dabei sind die 203.000 aktiven Soldaten nicht mal der eigentliche Personalbedarf der Bundeswehr, sondern ein künstlicher Personaldeckel. Der eigentliche Personalbedarf wird auf rund 240.000 bis 250.000 Soldatinnen und Soldaten geschätzt, bei dem aktuell gültigen Fähigkeitsprofil. Durch die neuen NATO-Fähigkeitsziele erhöht sich der Personalbedarf erneut. Das Verteidigungsministerium selbst geht in internen Dokumenten von einem Personalbedarf von 272.000 aktiven Soldaten aus. Der für die Landes- und Bündnisverteidigung erforderliche Verteidigungsumfang wird sogar auf 460.000 Männer und Frauen geschätzt. Die Personalprobleme der Bundeswehr sind also alles andere als überschaubar! Um diese Probleme zu lösen, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius das Modell „Neuer Wehrdienst” vorgestellt.
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Zielsetzung
Hauptziel des neuen Wehrdienstes ist die Erhöhung des Potenzials an Reservistinnen und Reservisten. Darüber hinaus soll ein verbessertes Lagebild über Eignung und Bereitschaft für den Wehrdienst in den hierfür in Frage kommenden Jahrgängen realisiert werden. Es geht beim neuen Wehrdienst also nicht darum, mehr Zeit- und Berufssoldaten zu gewinnen, dies sei nur ein willkommener Nebeneffekt, sollte es dazu kommen.
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Wehrerfassung
Kern des neuen Modells ist die Modernisierung der Wehrerfassung. Dabei geht es vor allem um eine Anpassung an das aktuelle Melderecht. Die neuen Regelungen sollen es künftig ermöglichen, dass die Bundeswehr alle für eine Wehrpflicht erforderlichen Informationen von den Meldebehörden erhalten kann. Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass die ausgesetzte Wehrpflicht im Spannungs- oder Verteidigungsfall automatisch wieder in Kraft tritt und man die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen möchte. Darüber hinaus geht die Aufgabe der Wehrerfassung von den Meldebehörden auf die Bundeswehrverwaltung über. Abgesehen von der Anpassung an das aktuelle Melderecht wird auch noch eine neue Befragung eingeführt. Alle deutschen Staatsbürger erhalten nach ihrem 18. Geburtstag einen Brief mit einem QR-Code zugesendet, der zu einem Onlinefragebogen führt. Betreffen tut dies alle, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden. Männer sind verpflichtet, diesen Fragebogen auszufüllen. Frauen und Personen anderen Geschlechts können dies freiwillig tun. Dies liegt daran, dass Frauen von der Wehrpflicht befreit sind und erst eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre, um die Beantwortung des Fragebogens auch für Frauen verpflichtend zu machen. Diesen Aufwand hat man in der aktuellen Legislaturperiode gescheut. Männer, die den Fragebogen nicht ausfüllen, sollen übrigens mit einem Bußgeld sanktioniert werden. Folgende Dinge sollen abgefragt werden: persönliche Daten, Motivation beziehungsweise Interesse, Verfügbarkeit, Bildungsabschlüsse, sonstige Qualifikationen sowie die Bereitschaft zum Wehrdienst. Der Zeitaufwand wird mit ca. 15 Minuten angegeben. Wer sich zum Wehrdienst bereit erklärt, soll anschließend zu einem Assessment eingeladen werden. Innerhalb von zehn Jahren soll dann einmalig eine erneute Abfrage der Wehrpflichtigen erfolgen, um die Angaben zu aktualisieren. Dies soll dazu dienen, ein besseres Lagebild über Eignung und Qualifikation der Wehrpflichtigen zu erhalten.
Wehrdienst
Das bisherige Modell des Freiwilligen Wehrdienstes wird in das Modell „Neuer Wehrdienst“ überführt. Am Prinzip der Freiwilligkeit wird jedoch festgehalten. Angeblich weil die Bundeswehr damit rechnet, dass eine ausreichende Anzahl von Freiwilligen zusammenkommt. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt mindestens sechs Monate und maximal 23 Monate. Anschließend werden die Wehrdienstleistenden in die Reserve grundbeordert und sollen die Möglichkeit erhalten, jährlich zu trainieren. Falls es einem jedoch so gut gefällt und man sich weiterhin aktiv bei der Truppe einbringen möchte, kann man sich alternativ auch als Zeitsoldat verpflichten. Ist aber wie gesagt nur ein willkommener Nebeneffekt. Hauptziel ist die Erhöhung des Potenzials an Reservistinnen und Reservisten. Wie viele Wehrdienstleistende die Bundeswehr ausbilden kann, soll jährlich geprüft werden. Da die erforderlichen Strukturen nach dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 abgebaut wurden, sind die Kapazitäten bei Unterbringung, Ausbildung und Ausrüstung derzeit jedoch recht begrenzt. Diese sollen nun schrittweise wieder ausgebaut werden. Im ersten Jahr sollen im Rahmen des „Neuen Wehrdienstes“ rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten ausgebildet werden. Wohlgemerkt zusätzlich zu den bisher rund 10.000 Freiwillig Wehrdienstleistenden. Insgesamt also etwa 15.000 Wehrdienstleistende. Wie gesagt sollen die Kapazitäten schrittweise ausgebaut werden und damit auch die Zahl der Wehrdienstleistenden pro Jahr.
Zeitplan & Kosten
Das Kabinett hat den neuen Wehrdienst bereits am 7. November beschlossen. Ursprünglich sollten sich im Dezember der Bundesrat, im Januar 2025 der Bundestag und im Februar die zuständigen Bundestagsausschüsse mit dem Gesetz befassen. Ziel war das Inkrafttreten des Gesetzes im zweiten Quartal 2025. Damit wäre das frühestmögliche Datum für eine Einstellung Juli 2025 gewesen. Da sich die Ampelkoalition mittlerweile jedoch in Luft aufgelöst hat, ist das Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines neuen Wehrdienstes derzeit ungewiss. Die organisatorischen Vorbereitungen innerhalb der Bundeswehr laufen allerdings wohl bereits. Hier geht es beispielsweise um die Aufstellung der erforderlichen Administration, die Bereitstellung von Unterkünften oder die Planung von Ausbildungen. Die Kosten für das erste Jahr belaufen sich laut Boris Pistorius übrigens auf 1,4 Milliarden Euro, finanziert aus dem regulären Verteidigungshaushalt.
Fazit
Pistorius selbst hat durchblicken lassen, dass der „Neue Wehrdienst“ nicht ausreichen wird, um die Personalprobleme der Bundeswehr zu lösen. Eigentlich wollte er einen Wehrdienst nach schwedischem Vorbild einführen – damit ist er jedoch gescheitert! In Schweden werden alle 18. Jährigen eines Jahrgangs erfasst und je nach Bedarf der Streitkräfte gemustert und für den Wehrdienst ausgewählt. Notfalls auch unfreiwillig und das ganze betrifft nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Auch wenn der „Neue Wehrdienst“ sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung ist, wird uns die Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eine allgemeine Dienstpflicht sehr wahrscheinlich in der nächsten Legislaturperiode wieder begegnen. Jetzt vor den Wahlen wird sich keine Partei lautstark dafür aussprechen. Aber die militärische Notwendigkeit ist eigentlich allen bewusst. Ich sehe zumindest keine realistische Option, eine aktive Truppenstärke von 272.000 oder den erforderlichen Verteidigungsumfang von 460.000 Soldatinnen und Soldaten ohne eine wie auch immer geartete Wehrpflicht oder Dienstpflicht zu erreichen.