Baltic Sentry – die neue NATO-Mission in der Ostsee

Baltic Sentry - die neue NATO-Mission in der Ostsee
Foto: Bundeswehr/Nico Theska

Am 14. Januar kündigte die NATO im Rahmen eines Gipfeltreffens der NATO-Ostseestaaten in Helsinki die Mission Baltic Sentry an. Baltic Sentry bedeutet so viel wie Wächter der Ostsee und gehört zu den Maßnahmen erhöhter Wachsamkeit, auch enhanced Vigilance Activities genannt, an der Nord- und Ostflanke des Verteidigungsbündnisses. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Hintergründe der neuen NATO-Mission, auf die Mission Baltic Sentry als solche und auf den deutschen Beitrag zu dieser Mission.

Zu viele Einzelfälle

Auslöser der Mission Baltic Sentry sind die sich häufenden Zwischenfälle in der Ostsee, bei denen regelmäßig kritische Unterwasser-Infrastrukturen beschädigt werden. Zu diesen kritischen Unterwasser-Infrastrukturen zählen bspw. Unterseekabel, Stromleitungen sowie Öl- und Gaspipelines. Um die Bedeutung dieser Unterwasser-Infrastrukturen zu verdeutlichen: 95 Prozent der globalen Datenströme werden mittels Unterseekabel übertragen. Und ohne Stromleitungen, Öl- und Gaspipelines wäre eine gesicherte Energieversorgung kaum noch denkbar. Das macht sie zunehmend zum Ziel für feindliche Akteure. Insbesondere in der Ostsee häufen sich die Indizien für gezielte Angriffe auf kritische Unterwasser-Infrastrukturen. Beispiele sind die Durchtrennung der Gaspipeline Balticconnector, die Finnland und Estland verbindet, am 8. Oktober 2023. Der Anker, mit dem die Gaspipeline beschädigt wurde, stammte vom chinesischen Frachtschiff New Polar Bear. Gleich zwei Vorfälle ereigneten sich im November 2024. So wurde das 1.173 Kilometer lange Kommunikationskabel C-Lion1, welches Helsinki mit Rostock verbindet, beschädigt. Im Verdacht steht erneut ein chinesisches Frachtschiff, das von einem russischen Kapitän gesteuert wurde. Und ebenfalls im November 2024 wurde ein weiteres Unterwasserkabel zwischen Litauen und der schwedischen Insel Gotland so stark beschädigt, dass die Verbindung ausgefallen ist. Auch hier steht ein chinesischer Frachter mit russischem Kapitän in Verdacht. Zu guter Letzt wurden am 25. Dezember 2024 die Stromleitung Estlink2 zwischen Estland und Finnland sowie mehrere Kommunikationskabel beschädigt. Im Verdacht steht der Öltanker „Eagle S”, der seinen Anker mehr als 100 Kilometer auf dem Meeresgrund hinter sich hergezogen haben soll. Daraufhin hat Finnland die „Eagle S” kurzerhand geboardet und festgesetzt. Angesichts dieser Liste von Vorfällen in so kurzer Zeit liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um gezielte Sabotageaktionen handelt.

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Die Mission „Baltic Sentry”

Womit wir zur NATO-Mission „Baltic Sentry” kommen. Diese wurde als Reaktion auf die vermeintlichen Sabotageakte ins Leben gerufen und soll den Schutz der kritischen Unterwasser-Infrastruktur verbessern. Zweck der Mission ist es, zum einen durch erhöhte militärische Präsenz in der Ostsee potenzielle Aggressoren und Saboteure abzuschrecken. Und zum anderen, falls es erneut zu einem Vorfall kommen sollte, schnell reagieren zu können. Dazu soll ein nationenübergreifendes Lagebild über den gesamten Ostseeraum erstellt werden, um Hinweise auf Sabotageakte gegen Bündnispartner schneller zu verknüpfen und diesen effektiver begegnen zu können. NATO-Generalsekretär Rutte kündigte auch an, dass Schiffe, die eine Bedrohung für kritische Unterwasser-Infrastrukturen darstellen, auch mit Boarding-Operationen und Festnahmen rechnen müssen. All das mit dem Ziel, künftige Aktionen gegen kritische Unterwasser-Infrastruktur zu verhindern. Aktuell werden die Details innerhalb der NATO abgestimmt. Zum Einsatz kommen sollen unter anderem Schiffe und Luftfahrzeuge sowie Unterwasserdrohnen. Diese sollen die kritischen Unterwasser-Infrastrukturen überwachen und zu einem gemeinsamen Lagebild beitragen. Geführt wird die Mission „Baltic Sentry” vom Allied Joint Force Command Brunssum (JFCBS), welches wiederum direkt dem Allied Command Operations (ACO) untersteht. Da es sich um eine maritime Operation handelt, werden auch das Allied Maritime Command (MARCOM) und das NATO Maritime Centre for Security of Critical Underwater Infrastructure (NMCSCUI) eine wichtige Rolle spielen. Bei Letzterem handelt es sich um ein Netzwerk- und Wissenszentrum mit Sitz beim Allied Maritime Command, welches dem Allied Command Operations und den NATO-Staaten bei der Entscheidungsfindung und Koordination von Maßnahmen unterstützend zur Seite steht. Den Kern der Mission „Baltic Sentry” bilden wohl die beiden NATO-Marineverbände Standing NATO Maritime Group 1 (SNMG1) und die Standing NATO Mine Counter Measures Group 1 (SNMCMG1). Die Standing NATO Maritime Group 1 besteht aktuell aus einer niederländischen Fregatte und einer schwedischen Korvette. Die Standing NATO Mine Counter Measures Group 1 besteht aktuell aus einem niederländischen hydrographischen Vermessungsschiff, einem deutschen Minenjagdboot, einem französischen Minenjagdboot und einem estnischen Minenjagdboot. Ergänzt werden diese NATO-Verbände durch nationale Beiträge, insbesondere der NATO-Ostsee-Anrainer. Dabei handelt es sich um Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden. Insbesondere Schweden hat angekündigt, sich massiv engagieren zu wollen. Die schwedischen Streitkräfte werden bis zu drei Kriegsschiffe und ein AWACS-Flugzeug bereitstellen. Die schwedische Küstenwache wird sich mit vier Schiffen an der Mission beteiligen und weitere sieben Einheiten in Bereitschaft halten. Zur Dauer der Mission gibt es unterschiedliche Angaben. Die NATO schreibt, dass die Mission auf unbestimmte Dauer läuft. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach auf genanntem Gipfel von drei Monaten. Wobei ich mir das kaum vorstellen kann, da es ziemlich sinnbefreit wäre.

Visby-Klasse der schwedischen Marine / Foto: Glenn Pettersson/Saab Kockums

Der deutsche Beitrag

Wie der deutsche Beitrag zur Mission Baltic Sentry genau aussehen wird, ist aktuell Gegenstand von Abstimmungsprozessen innerhalb der NATO. Denkbar wären Korvetten, Minenjagdboote und Seefernaufklärer der Marine. Die Luftwaffe könnte sich möglicherweise mit Eurofighter- und Tornado-Kampfflugzeugen beteiligen. Und auch der Cyber- und Informationsraum könnte zur Informationsgewinnung beitragen. Darüber hinaus ist auch der Einsatz von Bordeinsatzteams für Boardingoperationen sowie Minentauchern denkbar. Sicher ist jedoch, dass Deutschland mit den Einheiten an Baltic Sentry beteiligt sein wird, die aktuell bereits Teil der ständigen NATO-Marineverbände sind. Aktuell ist dies lediglich das Minenjagdboot FGS Datteln. Es dürfte jedoch zeitnah eine zweite seegehende Einheit hinzukommen, da sich Deutschland durchgehend an den beiden NATO-Verbänden beteiligt. Geführt wird der deutsche Beitrag durch das Operative Führungskommando der Bundeswehr in Berlin und Schwielowsee, welches die operative Planung und Koordination verantwortet. Auch die Commander Task Force (CTF) Baltic soll eingebunden werden. Dabei handelt es sich um ein neues taktisches nationales Hauptquartier der Marine in Rostock. Seine Aufgaben umfassen die Erstellung militärischer Lagebilder für den Operationsraum Ostsee, die Planung von Übungen und die Operationsführung von Seestreitkräften der NATO. Spannend dürfte noch das Thema Zuständigkeiten in Deutschland werden. So ist der Schutz kritischer Infrastrukturen in Deutschland erstmal Sache von verschiedenen zivilen Sicherheitsbehörden. Die Bundeswehr kann, oder eher gesagt darf, lediglich durch Aufklärung zu einem Lagebild beitragen und durch Präsenz abschrecken. Mehr nicht.

Minenjagdboot „Datteln“ läuft zum NATO-Verband aus
Minenjagdboot „Datteln“ / Foto: Bundeswehr / PIZ Marine

Fazit

Dass die NATO, nachdem man sich quasi sehenden Auges über ein Jahr lang ein paar Pipelines und Unterseekabel zerstören ließ, nun endlich handelt, ist erstmal eine gute Nachricht. Allerdings bin ich mal auf die tatsächliche Wirkung der Mission Baltic Sentry gespannt. Die rechtlichen Handlungsspielräume sind, sofern ich das richtig verstehe, nämlich recht gering. Hier möchte ich euch die jüngste Folge des Podcasts Sicherheitshalber mit der Seerechts-Expertin Nele Matz-Lück ans Herz legen. Da wird ganz gut erklärt, was im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens möglich ist oder besser gesagt, was alles eben nicht möglich ist.

Aktuell versucht die NATO selbst zu klären, wie man mit Schiffen der Schattenflotte rechtlich im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens umgehen kann. Abgesehen vom UN-Seerechtsübereinkommen, welches sehr wahrscheinlich einer Reform bedarf, um auf solche Sabotageaktionen künftig besser reagieren zu können, gibt es aber auch ein, zwei Dinge, die wir hier in Deutschland national ändern könnten oder besser gesagt sollten. Die Stichworte lauten hier: Seesicherheitsgesetz und nationale Küstenwache. Aktuell gibt es nämlich zu viele Akteure mit teils überlappenden Zuständigkeiten. Ein Seesicherheitsgesetz könnte die Zuständigkeiten auf See klar regeln und eine nationale Küstenwache würde die Anzahl der Akteure auf ein erforderliches Minimum reduzieren.

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