Wie wichtig eine leistungsfähige Luftverteidigung ist, wird uns gerade tagtäglich vor Augen geführt. Sei es in der Ukraine oder jüngst erst beim iranischen Angriff auf Israel. Kein Wunder also, dass auch Deutschland seine Luftverteidigungsfähigkeiten ausbauen will. Im Mittelpunkt dieses Bestrebens steht die Beschaffung eines Waffensystems, welches die bestehende Fähigkeitslücke bei der Bekämpfung ballistischer Flugkörper in der oberen Abfangschicht schließen soll. Bei diesem Waffensystem handelt es sich um das israelische Arrow-3-System. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf den Beschaffungsvertrag, auf die technischen Details des Arrow-Systems als solches und versuchen die Frage zu beantworten, ob die Beschaffung überhaupt sinnvoll ist.
Umfang, Kosten & Zeitplan
Nachdem der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 18. Oktober 2023 der 25-Millionen-Euro-Vorlage zur Beschaffung des Waffensystems Arrow 3 zugestimmt hat, wurde bereits knapp einen Monat später, am 23. November 2023, der entsprechende Beschaffungsvertrag unterzeichnet. Auftragnehmer sind die beiden Hersteller Israel Aerospace Industries und Boeing sowie MBDA Deutschland. Der Vertrag beinhaltet drei Arrow-Batterien, die dazugehörigen Lenkflugkörper des Typs Arrow 3, Ersatzteilpakete und Dienstleistungen für die Ausbildung des Bedienpersonals. Der Auftragswert beläuft sich auf ganze 3,6 Milliarden Euro, welche bis 2027 aus dem Sondervermögen der Bundeswehr finanziert werden. Danach muss das Vorhaben aus dem regulären Verteidigungshaushalt weiter finanziert werden. Hinzu kommen weitere 150 Millionen Euro für Infrastrukturmaßnahmen an den drei geplanten Standorten, welche ebenfalls aus dem Verteidigungshaushalt finanziert werden müssen. Insgesamt kostet die Beschaffung den Steuerzahler also 3,75 Milliarden Euro. Die erste Arrow-Batterie soll bis Ende 2025 in Holzdorf in Brandenburg stationiert werden. Die zwei weiteren Batterien sollen bis 2030 ausgeliefert werden und in Schleswig-Holstein und Bayern stationiert werden. Bis 2030 sollen dann auch alle bestellten Abwehrflugkörper ausgeliefert sein und die volle Einsatzbereitschaft hergestellt werden.
Mein Videobeitrag zu der Thematik:
Das Waffensystem Arrow
Die Entwicklung von Arrow 3 begann 2008, nachdem sich Israel gegen die Beschaffung des THAAD-Systems und für eine Eigenentwicklung entschieden hat. Von Beginn an waren die USA stark in die Entwicklung involviert, sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Entwicklungsarbeit als solches. Im Zeitraum von 2008 bis 2019 haben die USA rund 1,2 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung und insgesamt fast 3,8 Milliarden US-Dollar für das Arrow-Waffensystem bereitgestellt. Nach einer fast zehnjährigen Entwicklungs- und Testphase wurde Arrow 3 dann 2017 für einsatzbereit erklärt. Zwei Jahre später unterzeichneten die USA und Israel eine Vereinbarung über die Serienproduktion des Systems. Die erfolgt durch Israel Aerospace Industries und Boeing. Arrow 3 ist dabei lediglich ein neuer Abwehrlenkflugkörper innerhalb des Arrow-Waffensystems als solches. Dieser wurde zur Bekämpfung ballistischer Raketen mittlerer und großer Reichweite entwickelt. Eine Arrow-Batterie besteht aus einem Radar, einem Fire-Control-Center, einem Launcher-Control-Center und vier Startgeräten.
Beim Radar handelt es sich um das EL/M-2080S Green Pine Block 2 Weitbereichradar von IAI. Die Block-C-Variante ist dabei die aktuell modernste Version und seit 2018 in Betrieb. Das System ist ein voll digitalisiertes active-electronically-steered-array-radar, welches im L-Band-Frequenzbereich arbeitet. Die Radarantenne beherbergt rund 2.500 Sende- und Empfangsmoduke. Aufgrund seiner Größe und Leistungsfähigkeit und der damit verbundenen benötigten Kühlung muss das Radar auf einem Tieflader transportiert werden und wiegt insgesamt rund 60 Tonnen. Folglich kann es nur an vorbereiteten Orten installiert werden und gilt als transportabel, aber nicht als mobil. Laut dem Hersteller kann das Radar in weniger als 24 Stunden einsatzbereit gemacht werden. Es ist in der Lage, Dutzende Ziele in Entfernungen von über 1.000 km zu erkennen und zu verfolgen. Da es sich um ein Radar handelt, welches speziell für die Abwehr ballistischer Flugkörper entwickelt wurde, ist es auch in der Lage, mehrere multiple independently targetable reentry vehicles zu erkennen, zu verfolgen und deren jeweilige Einschlagsorte zu bestimmen. Darüber hinaus soll das Radar auch in der Lage sein, Satelliten aufzuklären und so zu einem Weltraumlagebild beizutragen. Gleichzeitig dient das Grenn Pine auch als Feuerleitradar, da es den Arrow-3-Lenkflugkörper in Richtung der ballistischen Rakete führt.
Das Fire Control Center, kurz FCC, dient der Datenverarbeitung, Bedrohungsanalyse, Kommunikation und Operationsführung. Das integrierte Battle-Management-System ist in der Lage, frühzeitig vor Bedrohungen zu warnen, den Abschussort der ballistischen Raketen zu schätzen und den Einschlagspunkt zu berechnen. Das FCC ist in einem transportablen Container verbaut, der über mehrere Konsolen für die Operateure verfügt.
Das FCC und die Startgeräte sind über das Launcher-Control-Center, kurz LCC, miteinander verbunden. Das LCC verfügt über ein vollautomatisiertes Gefechtsführungssystem und stellt eine vollständige Redundanz zum FCC dar sowie unabhängige Sicherheitsmechanismen, um einen unbeabsichtigten Start eines Arrow-Flugkörpers zu verhindern. Darüber hinaus dient das LCC zur Diagnose und zu Wartungszwecken.
Die Startgeräte sind, genauso wie das Green Pine Radar, auf Tiefladern installiert. Jede Arrow-Batterie verfügt über vier Startgeräte, welche wiederum über jeweils sechs feuerbereite Arrow-3-Lenkflugkörper verfügen. Insgesamt verfügt eine Batterie also über 24 feuerbereite Lenkflugkörper. Und auf Deutschland bezogen macht das bei drei Batterien 72 startbereite Abwehrflugkörper. Sind die verschossen, muss erstmal nachgeladen werden. Da der Start in vertikaler Position erfolgt, ist eine 360-Grad-Abdeckung gewährleistet. Auch wenn die Startgeräte semimobil sind, ist eine Ausbreitung durch die erforderliche Nähe zum LCC für die benötigte Glasfaserverbindung nur begrenzt möglich.
Der Arrow-3-Abwehrflugkörper als solches besteht aus einem zweistufigen Feststoffraketentriebwerk. Beide Stufen verfügen über eine Schubvektorsteuerung zur Verbesserung der Manövrierbarkeit. Arrow 3 bietet eine Reichweite von bis zu 2.400 Kilometern und eine Höhenabdeckung von über 100 km. Die Steuerung erfolgt mittels Inertial-Navigationssystem und einer Mid-Course-Guidance vom Green-Pine-Radar. Als Gefechtskopf dient ein Kinetic-Kill-Vehicle, kurz KV. Dieses verfügt im Gegensatz zu anderen KV-Konstruktionen nicht über mehrere kleinere Triebwerke, sondern über ein einziges größeres Triebwerk mit der Fähigkeit zu schwänken. Dadurch wird die Komplexität des Systems verringert. Zur Zielverfolgung verfügt das Kinetic Kill Vehicle über einen elektro-optischen Sucher, welcher das KV direkt in das Ziel lenken soll. Misslingt dies, verfügt der Gefechtskopf noch über einen Näherungszünder, der eine Splitterladung freisetzt, um das Ziel nach einem verpassten Direkttreffen dennoch zu bekämpfen.
Bedrohungsspektrum
Womit wir zu den möglichen Abfangzielen kommen. Die anfänglichen Bedrohungen, die die operativen Anforderungen der israelischen Regierung bestimmten, bestanden hauptsächlich aus ballistischen Mittelstreckenraketen und intermediate-range ballistic missiles, die von Israels Hauptgegner Iran eingesetzt werden. Einige der von Iran entwickelten ballistischen Raketen sind in der Lage, verschiedene Nutzlasten wie multiple independently targetable reentry vehicles, chemische oder sogar nukleare Sprengköpfe zu transportieren. Bestehende Luftverteidigungssysteme wie Patriot oder Arrow 2 sind zwar in der Lage, ballistische Raketen abzuwehren, allerdings nur auf sehr kurze Distanz, und sind daher nicht in der Lage, größere Gebiete vor diesen Bedrohungen zu schützen. Arrow 3 hingegen ist in der Lage, die genannten Ziele über große Entfernungen in großer exo-atmosphärischer Höhe abzufangen. Dass es dazu auch unter realen Bedingungen in der Lage ist, hat Arrow 3 seit dem 07. Oktober 2023 bereits mindestens zweimal unter Beweis gestellt. Auf Deutschland bezogen kann Russland als potenzieller Hauptgegner angesehen werden. Was auch der Grund für die Kontroversen rund um die Beschaffung von Arrow ist. Denn Russland verfügt, Stand jetzt, nicht über derartige Raketen. Die Hauptgefahr durch Raketenangriffe der russischen Streitkräfte geht von Typen 9K720 Iskander oder seiner luftgestützten Variante Kh-47M2 Kinzhal aus, die auch in der Ukraine in großem Umfang eingesetzt wurden. Das Arrow-3-System kann solche Ziele jedoch nicht abfangen, da die Abfangmethode mit den Kinetic-Kill-Vehicles nur für exo-atmosphärische Abfangvorgänge geeignet ist, die in Höhen stattfinden, die Raketen wie die Iskander oder die Kinzhal bei ihrem Anflug nicht erreichen. Allerdings ist seit der faktischen Aufkündigung des INF-Vertrags und vor dem Hintergrund früherer sowjetischer Entwicklungen wie der RS-26 Rubezh oder der RSD-10-Raketen nicht auszuschließen, dass solche Systeme wieder in den Dienst der russischen Streitkräfte gestellt werden. Angesichts der aktuellen Bedrohungen ist die Sinnhaftigkeit der Beschaffung von Arrow jedoch fraglich. Die potenziellen Einsatzmöglichkeiten für die deutschen Arrow-Batterien würden sich derzeit vor allem auf den Einsatz im Nahen Osten oder in Asien konzentrieren, wo ballistische Raketen mittlerer und großer Reichweite wesentlich verbreiteter sind. In Deutschland sind lediglich die Green-Pine-Radare zur Luftraumüberwachung und Frühwarnung sowie als BMD-Sensoren nützlich. Allerdings ist das System aufgrund seiner Eigenschaften auch dazu geeignet, die meisten Arten potenzieller Ziele im Weltraum abzufangen, bspw. Satelliten oder sonstige Raumfahrzeuge. Die künftige Nutzung und die Sinnhaftigkeit der Beschaffung von Arrow 3 hängen also weitgehend von externen Entwicklungen ab.
Fazit
Zum Schluss ein kurzes Fazit meinerseits. Ich denke, die Beschaffung von Arrow 3 lässt sich am besten wie folgt zusammenfassen: Sehr viel Geld für ein System, dessen Nutzen für Deutschland zumindest fragwürdig ist. Es kann natürlich durchaus sein, dass Russland in den nächsten Jahren wieder ballistische Raketen mittlerer und großer Reichweite in den Dienst stellt. Dann wäre es einer der seltenen Fälle, in denen die Bundesregierung vorausschauende Politik betrieben hätte. Aber Stand jetzt wären die 3,75 Milliarden Euro sicherlich anderswo besser investiert gewesen. Beispielsweise könnte man für das gleiche Geld wahrscheinlich 11 Patriot-Batterien oder sogar über 20 IRIS-T SLM Batterien beschaffen. Und die beiden letztgenannten Systeme richten sich sogar gegen tatsächlich vorhandene Bedrohungen.