Im Rahmen von qNFMLG (querschnittliche Nachfolgelösung für das Marineleichtgeschütz) will die Marine die zunehmend obsoleten MLG27 (Marineleichtgeschütze) querschnittlich ablösen und gleichzeitig mittels Air-Burst-Munition (ABM) der Gefahr, die verschiedenste Drohnen im heutigen Seegefecht darstellen, begegnen.
1. Anforderungen
Der Ausschreibung, die auf TED, einem europäischen Portal für öffentliche Ausschreibungen, veröffentlicht wurde, lassen sich folgende Eckdaten entnehmen:
- TRL9 (Technology Readiness Level)
- wird auf mindestens einer Schiffsklasse operativ genutzt
- wurde in den letzten 5 Jahren mindestens von einem Kunden bestellt
- Das Unternehmen hat in den letzten 3 Jahren mindestens 150 Millionen € Umsatz bei vergleichbaren Ausschreibungen gemacht
- Kaliber 30x173mm mit programmierbarer ABM
- elektro-optischer Sensor mit Laserentfernungsmesser und Tages- und Infrarotkamera
- Festbeauftragung von 75 Stück mit Option auf 100 weitere (inklusive Ersatzteilpakete, Sonderwerkzeugsätze und Ausbildungsleistungen)
- Großteil der Auslieferungen zwischen 2027 und 2030 (mindestens 20 pro Jahr)
- Der Preis ist das einzige Zuschlagskriterium (Gewichtung: 100%)
Anhand der großen Losoption lässt sich schlussfolgern, dass bereits jetzt mit einer möglichen Integration des zukünftigen MLGs in die noch zu beschaffenden Mehrzweckkampfboote oder das FCSS (Future Combat Surface System) zu rechnen ist. Bei der FüWES-Integration (Führungs- und Waffeneinsatzsystem) ist vermutlich davon auszugehen, dass die neuen MLGs auf den Schiffen der Klasse 127 in AEGIS integriert werden müssen, während sie bei den restlichen Schiffsklassen in die bestehenden FüWES beziehungsweise das zukünftige Standard-FüWES integriert werden, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das CMS330 von Lockheed Martin Canada handeln wird.
2. Kandidaten
Im folgenden werde ich die verschiedenen MLGs der möglichen Bieter anhand der bekannten Kriterien bewerten:

- Smash200/30 von Aselsan, Türkei:
Das Smash200/30 wird unter anderem von der kroatischen Marine auf den neuen Patroullienbooten der Omiš-Klasse eingesetzt und wäre in der Theorie ein möglicher Kandidat. Allerdings gibt es keine öffentliche Verlautbarung seitens des Herstellers, dass das Smash200/30 zur Nutzung von ABM qualifiziert wurde. Abgesehen davon ist es auch fraglich, dass türkische Rüstungsgüter im Allgemeinen für die Bundeswehr in Frage kommen. - Naval Surface Gun (NSG) von Elbit Systems, Israel:
Nachdem es keine Bestätitgung gibt, dass die NSG zur Nutzung von ABM qualifiziert wurde, ist eine Beschaffung fraglich. Des Weiteren lässt sich nicht nachprüfen, ob die NSG bereits von einer Marine operativ genutzt wird oder überhaupt gekauft wurde. - Marlin 30 von Leonardo, Italien:
Auch wenn das Marlin 30 alle technischen Anforderungen erfüllt, wurde bisher nur der größere Bruder, das Marlin 40, an die indonesische Marine verkauft. Nachdem es keinen Kunden für das Marlin 30 gibt und es demnach nicht operativ genutzt wird, dürfte es nicht in Frage kommen. - Lionfish 30 von Leonardo, Italien:
Das Lionfish 30 soll zukünftig auf den Zerstörern der River-Klasse der Royal Canadian Navy und den PPX Offshore Patrol Vessels (OPV) der Marina Militare eingesetzt werden. Damit wird das Lionfish 30 zum Zeitpunkt der Vergabe nicht operativ genutzt. Folglich dürfte es nicht in Frage kommen.

- SeaSnake 30 von Rheinmetall, Deutschland:
Das SeaSnake 30 wird ebenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht operativ genutzt. In diesem Fall ist die brasilianische Marine mit den von TKMS gebauten Fregatten der Tamandaré-Klasse der Erstkunde. Demnach dürfte auch das SeaSnake 30 nicht in Frage kommen. - Typhoon Mk 30-c von Rafael, Israel:
Das Typhoon Mk 30-c sollte alle bekannten Anforderungen erfüllen und wird aktuell unter anderem auf den von TKMS gebauten MEKO A-200EN der ägyptischen Marine eingesetzt. Rafael kann in diesem Bereich auf eine langjährige Kooperation mit BAE Systems zurückblicken. So wurde bereits der Vorgänger, das Typhoon 25mm, als Mark 38 unter anderem an die United States Navy verkauft. Auch bei dem 30mm Machine Gun System (MGS) von BAE handelt es sich um eine Kooperation mit Rafael.

3. Im Fokus: Das Seahawk von MSI Defence
In meinen Augen ist das Seahawk von der britischen Firma MSI Defence Systems das logistisch und technisch ansprechenste System. Abgesehen davon, dass das Seahawk alle veröffentlichten Kriterien erfüllt und von mehreren Marinen operativ genutzt wird, darunter die Royal Navy mit den Type 23 Fregatten und dem 2. Los der OPVs der River-Klasse, hätte das Seahawk noch weitere Vorteile für die Deutsche Marine.
Zum einen scheint die bisherigen Erfahrung der Marine mit MSI Defence Systems im Rahmen von F123 SdEV vielversprechend. Die bisherige Kooperation könnte ausgebaut und F123B mit dem Rest der Flotte logistisch standardisiert werden. Des Weiteren wurde das Seahawk nicht nur in das 9LV FüWES von Saab integriert, was entscheidend für die Beschaffungsentscheidung im Rahmen von F123 SdEV war, sondern wird aktuell auch als Mark 38 Mod4 an die United States Navy geliefert, wo es unter anderem auf Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse Verwendung findet. So wäre auch eine AEGIS-Integration bereits gegeben. Ebenfalls erachte ich es als grundsätzlich begrüßenswert, die Rüstungskooperation mit einem engen und wichtigen Partner wie dem Vereinigten Königreich auszubauen.
Nicht zuletzt hätte das Seahawk einen relevanten technischen Vorteil:
Der Sensorkopf des Seahawk ist, anders als bei vielen vergleichbaren MLGs, nicht fest mit der Waffe gekoppelt, sondern kann auch abgesetzt und beispeilsweise am Mast montiert werden. Diese Entkopplung kann die mechanische Belastung des Sensorkopfes als auch die Zielverfolgung beim Waffeneinsatz positiv beeinflussen.

4. Fazit
Nachdem ich Zweifel habe, dass das Lionfish 30 von Leonardo oder das SeaSnake 30 von Rheinmetall die Anforderungen erfüllen, dürfte es vermutlich auf das Typhoon Mk 30-c oder das Seahawk herauslaufen. Bei der nun erfolgten Ausschreibung wird allerdings der Preis als einziges Zuschlagskriterium genannt. Das wirkt insofern verwunderlich, da die Forderungen aus BMVg und Truppe die schnellstmögliche Realisierung als handlungsleitend vorgeben. Das Seahawk stellt hier unbestreitbar die erprobteste und risikoärmste Option dar. Für den Fall, dass sich Rafael mit dem Typhoon durchsetzen sollte, steht auch hier ein global verbreitetes MLG zur Verfügung, bei dem zumindest das Vorgängermodell mit AEGIS integriert wurde. Des Weiteren gilt es zu betonen, dass die querschnittliche Einführung eines MLGs über die gesamte Flotte hinweg zukünftig signifikante Vorteile bei Ausbildung, Wartung und Weiterentwicklung haben wird. Trotz alldem denke ich, dass die vollständige Fokussierung auf den Preis angesichts des signifikanten Aufwuchses des EP14 womöglich ein Fehler war.