Das Flugabwehrsystem PATRIOT ist seit 1989 im Dienste der Bundeswehr und wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Es ist das Rückgrat der deutschen bodengebundenen Luftverteidigung und wird dies auch noch bis Mitte dieses Jahrhunderts bleiben. PATRIOT steht für Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target und ist ein bodengebundenes Flugabwehrsystem großer Reichweite. Die Entwicklung begann Mitte der 1970er Jahre. Seit 1984 befindet sich das System im Dienste der U.S. Army, fünf Jahre später wurde es auch bei der Bundeswehr eingeführt. Weltweit sind derzeit mehr als 240 Patriot-Batterien in 18 verschiedenen Staaten im Einsatz. Vor dem Krieg in der Ukraine verfügte die Bundeswehr über 12 PATRIOT-Staffeln. Mittlerweile hat Deutschland der Ukraine drei seiner Systeme abgegeben, ergo beläuft sich der aktuelle Bestand auf lediglich neun Systeme. Ein System besteht aus einem Feuerleitstand, einem Multifunktionsradargerät, einer Stromversorgungsanlage, bis zu acht Startgeräten mit je 4 oder 8 Lenkflugkörpern und einem Richtfunktrupp mit Generatoren und einer Antennenmastanlage. Das Multifunktionsradargerät ist in der Lage, Luftziele in mehr als 100 km Entfernung aufzuklären und gleichzeitig bis zu 100 Ziele zu verfolgen. Gleichzeitig bekämpfbar sind 5 Luftziele und das auf eine Entfernung von rund 68 Kilometern. Bekämpfbare Ziele sind Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen, Marschflugkörper und taktische ballistische Raketen. Als Abwehrlenkflugkörper kommen bei der Bundeswehr vor allem die PAC-2 GEM-T und die PAC-3 MSE zum Einsatz. Die PAC-2 GEM-T baut auf der Ende der 1990er-Jahre eingeführten PAC-2 GEM-Variante auf und verfügt über eine bessere Manövrierbarkeit, einen präziseren digitalen Zünder und noch leistungsstärkere Sensoren. Die PAC-3 MSE ist seit 2018 verfügbar und auf die Bekämpfung von ballistischen Flugkörpern optimiert. Sie verfügt über einen neuen, stärkeren Zweipuls-Feststoffmotor und ein größeres Heckleitwerk, was die Fluggeschwindigkeit, Reichweite und Manövrierfähigkeit steigert. Deutschland bestellte erstmals 2019 50 dieser neuen Lenkflugkörper für 292,5 Mio. Euro.
Fähigkeitserhalt PATRIOT
Die neun Bestandssysteme werden aktuell im Rahmen des Vorhabens „Fähigkeitserhalt PATRIOT” einer Nutzungsdauerverlängerung unterzogen. Wobei der aktuelle Stand und was alles in diesem Vorhaben inbegriffen ist, nicht so wirklich klar ist. So wurde das Projekt erstmals im 17. Rüstungsbericht des BMVg erwähnt, auch im 18. kam es vor, im jüngsten 19. Rüstungsbericht ist von dem Vorhaben jedoch keine Rede mehr. Ein Industrievertreter hat mir gegenüber darüber hinaus mal geäußert, dass keiner so richtig wisse, was in diesem Vorhaben genau inbegriffen ist. Laut dem 17. und 18. Rüstungsbericht sollen im Rahmen des Vorhabens „Fähigkeitserhalt PATRIOT“ die Gefechtsstandkabinen, Trägerfahrzeuge und Stromversorgungsanlagen erneuert werden. Darüber hinaus sind auch die Modernisierung des Kommunikationssystems, der Ersatz von Funkgeräten, der Ersatz von obsoleten Baugruppen in den Radargeräten sowie die Anpassungen der Startgeräteelektronik vorgesehen. Und in der Tat gibt es in diese Richtung genehmigte 25-Mio.-Euro-Vorlagen des Haushaltsausschusses des Bundestages. Bereits 2019 wurden 120 Mio. Euro für den Erhalt der sogenannten Einsatzreife der Patriot-Systems genehmigt. Mit diesem Geld wurden 14 digitale Radarprozessoren, sechs moderne Bedienstationen für die Gefechtsstände und Ersatzteile beschafft. Am 18. Oktober 2023 stimmte der Haushaltsausschuss dann der Beschaffung von 51 Krypto- und Funkgeräten für die Richtfunkanlagen des Flugabwehrsystems PATRIOT zu. Das Beschaffungsvolumen beläuft sich auf 40,5 Millionen Euro. Die Auslieferung soll zwischen 2025 und 2027 erfolgen. Am 20. März 2024 wurde der Modernisierung der Radargeräte mit neuer digitaler Radartechnik für 75,6 Millionen Euro zugestimmt. Dies soll eine 30 Prozent größere Erfassungsreichweite sowie eine schnellere Prozessorgeschwindigkeit ermöglichen. Auch der Schutz vor elektronischer Kampfführung wird verbessert. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Beschaffung von 120 Trägerfahrzeugen und 129 Stromversorgungsanlagen sowie die Regeneration der Fernmeldekabinen geplant sind. Ursprünglich sollte die dafür notwendige 25-Mio.-Euro-Vorlage bereits im ersten Quartal dieses Jahres durch den Haushaltsausschuss gebracht, dies ist bisher jedoch nicht erfolgt. Insgesamt sind im Sondervermögen der Bundeswehr 1.169 Milliarden Euro für das Vorhaben „Fähigkeitserhalt PATRIOT“ vorgesehen. Nach abgeschlossener Modernisierung sollen die Systeme bis 2048 im Dienste der Bundeswehr bleiben.
Neubeschaffungen
Als Ersatz für die drei an die Ukraine abgegebenen PATRIOT-Systeme sowie zum Ausbau der bodengebundenen Luftverteidigungsfähigkeiten wurden mittlerweile acht neue Systeme bestellt. Zunächst stimmte der Haushaltsausschuss des Bundestages am 20. März 2024 der Beschaffung von vier neuen PATRIOT-Systemen zu. Die Kosten für diese vier Systeme belaufen sich auf 1,28 Milliarden Euro. Zwei Systeme werden aus dem Sondervermögen und dem Einzelplan 14 finanziert. Die restlichen zwei werden aus dem Einzelplan 60, der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung, finanziert. Am 03. Juli 2024 hat der Haushaltsausschuss dann der Beschaffung von vier weiteren PATRIOT-Systemen zugestimmt. Der Beschaffungsumfang umfasst vier Radargeräte, fünf Feuerleitstände, 30 Startgeräte und vier abgesetzte Kampfführungsanlagen sowie vier Stromversorgungsanlagen und 39 Sattelzugmaschinen, so berichtet es zumindest ESUT. Die Kosten für diese Beschaffung belaufen sich auf 1,35 Milliarden Euro. Drei der vier Systeme werden über den Einzelplan 14 und eines über den Einzelplan 60 finanziert. Insgesamt erhält die Bundeswehr also acht neue PATRIOT-Flugabwehrsysteme für 2,63 Milliarden Euro. Die Auslieferung soll im Zeitraum von 2025 bis 2029 erfolgen. Laut Hartpunkt handelt es sich bei den neuen Systemen um die modernste Konfiguration C3+. Der Lower Tier Air and Missile Defense Sensor und das Integrated Battle Command System kommen jedoch noch nicht zum Einsatz. Nach Auslieferung aller acht Systeme und sofern keine weiteren PATRIOTs an die Ukraine abgegeben werden, würde die Bundeswehr künftig über insgesamt 17 dieser Flugabwehrsysteme verfügen.
All diese PATRIOT-Systeme bringen jedoch nichts, wenn nicht ausreichend Munition für sie verfügbar ist. Deshalb laufen aktuell auch umfangreiche Beschaffungen von Lenkflugkörpern für das PATRIOT-System. So stimmte der Haushaltsausschuss des Bundestages am 13. Dezember 2023 der Beschaffung von 500 PAC-2 GEM-T Lenkflugkörpern zu. Die Beschaffung erfolgt dabei über die NATO Support and Procurement Agency und in Kooperation mit den Niederlanden, Rumänien und Spanien. Die Kosten belaufen sich auf 3,01 Milliarden Euro. Die Finanzierung erfolgt dabei über das Sondervermögen, den Einzelplan 14 und den Einzelplan 60. 400 Lenkflugkörper werden für rund 2,4 Milliarden Euro zunächst über das Sondervermögen Bundeswehr und ab 2028 über den regulären Verteidigungshaushalt finanziert. Laut ESUT werden 760 Mio. Euro von 2,4 Mrd. Euro über den Einzelplan 14 finanziert, der Rest über das Sondervermögen. Die für die restlichen 100 Lenkflugkörper erforderlichen Haushaltsmittel in Höhe von 602 Millionen Euro kommen aus dem Einzelplan 60, da diese Stückzahl auch an die Ukraine geliefert wurde. Die Auslieferung der PAC-2 GEM-T Lenkflugkörper soll im Zeitraum von 2027 bis 2033 erfolgen. Darüber hinaus hat der Haushaltsausschuss am 03. Juli 2024 der Beschaffung weiterer 100 PAC-2 GEM-T Lenkflugkörpern zugestimmt. Diese Beschaffung erfolgt jedoch nicht über den Rahmenvertrag mit der NATO Support and Procurement Agency, sondern direkt über den Hersteller. Allerdings lag zum Zeitpunkt der Zustimmung durch den Haushaltsausschuss noch kein endverhandelter Vertrag, sondern nur ein unverbindliches Angebot vor. Was das BMVg wann bezahlen muss und wann die Lenkflugkörper an die Truppe geliefert werden, ist also noch nicht bekannt.
Zur Verbesserung des Schutzes vor ballistischen Raketen will die Bundeswehr bis zu 600 PAC-3 MSE beschaffen. Die Kosten sollen sich auf bis zu 5 Milliarden US-Dollar belaufen. Zwar wurde der Foreign-Military-Sale von der Defense Security Cooperation Agency am 15. August 2024 genehmigt. Allerdings wurde bisher noch keine Bestellung aufgegeben, da das Vorhaben zunächst noch durch den Haushaltsausschuss muss. Wie bereits erwähnt wurden bereits 2019 50 dieser Lenkflugkörper für 292,5 Mio. Euro beschafft. Hier bedarf es also dringend einer Aufstockung der Munitionsbestände.
Ausblick
Anfang der 2030er-Jahre ist eine weitere Kampfwertanpassung geplant. Im Rahmen dieses auch als KWA 3 bezeichneten Vorhabens wird man sehr wahrscheinlich den Lower Tier Air and Missile Defense Sensor von RTX beschaffen. Dieser verfügt im Gegensatz zu den aktuell genutzten Radargeräten über eine 360 Grad Fähigkeit. Darüber hinaus bietet das neue Radarsystem auch noch eine 2,5-mal größere effektive Reichweite, eine wesentlich bessere Auflösung und eine gesteigerte Rechnerleistung. Dadurch wird eine frühzeitigere Zielidentifizierung, einschließlich der Identifizierung von Täuschkörpern, sowie die Errechnung von Abfangkoordinaten von Hyperschallflugkörpern ermöglicht. Der Lower Tier Air and Missile Defense Sensor wird in der U. S. Army das aktuell genutzte Radarsystem AN/MPQ-53/65 ablösen. Und auch Polen beschafft für seine PATRIOT-Systeme dieses neue Radarsystem.
Die Beschaffung des Integrated Battle Command Systems von Lockheed Martin ist hingegen unwahrscheinlich. Zum einen, weil die Luftwaffe das von Airbus entwickelte Führungssystem Surface-to-Air Missile Operations Center verwendet und dieses weiterentwickeln könnte. Und zum anderen, weil das Integrated Battle Command System laut einem Industrievertreter sehr sehr teuer sein soll. Aus wirtschaftlicher und industriepolitischer Sicht macht es also mehr Sinn, das eigene System weiterzuentwickeln, statt das Integrated Battle Command System zu beschaffen.
Zu guter Letzt steht auch noch die Beschaffung von neuen Abfangraketen im Raum. Die U. S. Army entwickelt im Rahmen des Vorhabens „Future Interceptor“ eine solche neue Abfangrakete, die auch in der Lage sein soll, manövrierfähige gegnerische Hyperschallwaffen abzufangen. Die Auslieferung des Future Interceptors ist ab 2028 geplant. Ob auch Deutschland Interesse an einer Beschaffung hat, bleibt abzuwarten.
Fazit
Wie wichtig eine leistungsfähige, bodengebundene Luftverteidigung ist, kann man sowohl im Ukraine-Krieg als auch im Nahost-Konflikt hervorragend beobachten. Folglich richtig ist die Entscheidung, die Bestandssysteme zu modernisieren, abgegebenes Material durch neues zu ersetzen und sogar noch zusätzliche PATRIOT-Systeme zu beschaffen, um die eigenen Luftverteidigungsfähigkeiten zu stärken. Laut den NATO-Planungszielen für Flugabwehrsysteme im Bereich Surface to Air Missile – Long Range und Ballistic Missile Defence – Lower Layer, soll die Stückzahl bis 2039 um über 50% steigen im Vergleich zum Jahr 2023. Ab 2040 soll sich die Anzahl der Flugabwehrsysteme großer Reichweite sogar verdoppeln, ebenfalls im Vergleich zum Jahr 2023. Bedeutet, die Bundeswehr benötigt bis 2039 ca. 18 und ab 2040 24 PATRIOTs oder vergleichbare Flugabwehrsysteme großer Reichweite, um die NATO-Fähigkeitsziele zu erfüllen. Fraglich ist jedoch, ob und wie man da eventuell die Beschaffung des Raketenabwehrsystems Arrow verrechnen kann. Wobei 24 PATRIOT-Systeme sicherlich auch nicht Schaden würden. Neben den Flugabwehrsystemen als solche bedarf es natürlich auch ausreichend Munition für diese. Auch hier ist man denke ich auf einem ganz guten Weg, auch wenn man sicherlich noch ein paar hundert Abwehrraketen mehr beschaffen könnte und sollte. Aber ihr kennt das Spielchen, für all das fehlt aktuell natürlich das nötige Kleingeld. Das Stichwort hier lautet mal wieder dauerhafte Erhöhung des regulären Verteidigungshaushaltes auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Wenn das dann ausreicht.
Mein Videobeitrag zur Thematik: