Die Europäische Kommission und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik haben einen umfassenden Fahrplan (Defence Readiness Roadmap 2030) vorgelegt, der Europa bis zum Jahr 2030 verteidigungsbereit machen soll. Die Entscheidungen, die Europa und seine Mitgliedstaaten in diesem Jahrzehnt treffen, werden die Sicherheit des Kontinents für das gesamte Jahrhundert prägen.
Bedrohungslage und strategischer Kontext
Die Notwendigkeit für beschleunigte Anstrengungen ergibt sich aus der sich verschärfenden Sicherheitslage. Russlands Kriegswirtschaft widmet 2025 mehr als sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung, wobei rund 40 Prozent des Gesamthaushalts in den Sicherheits- und Verteidigungssektor fließen. Die unprovozierten Angriffe auf die Ukraine, hybride Bedrohungen gegen Mitgliedstaaten und zunehmende geopolitische Spannungen vom Nahen Osten bis zum asiatisch-pazifischen Raum erfordern eine umfassende Reaktion mit einem 360-Grad-Ansatz.
Investitionsschub und finanzielle Ressourcen
Europa hat die jahrzehntelange Unterfinanzierung im Verteidigungsbereich beendet. Die Verteidigungsbudgets der Mitgliedstaaten stiegen von 218 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 343 Milliarden Euro im Jahr 2024, mit einer Prognose von 392 Milliarden Euro für 2025. Die Rüstungsinvestitionen erhöhten sich 2024 um 42 Prozent auf 106 Milliarden Euro. Die ReArm Europe-Agenda soll bis zu 800 Milliarden Euro für die Verteidigung mobilisieren, einschließlich neuer Finanzierungsinstrumente wie SAFE.
Prioritäre Fähigkeitsbereiche
Die Mitgliedstaaten haben neun vorrangige Fähigkeitsbereiche identifiziert: Flug- und Raketenabwehr, strategische Befähiger, Artilleriesysteme, militärische Mobilität, Raketen und Munition, Cyber-, KI- und elektronische Kriegsführung, Drohnen und Drohnenabwehr, Bodenkampf sowie maritime Fähigkeiten. Um diese Lücken zu schließen, sollen die Mitgliedstaaten Fähigkeitskoalitionen bilden, die bis zum ersten Quartal 2026 eingerichtet sein sollen.
Europäische Leuchtturmprojekte
Der Fahrplan schlägt vier zentrale europäische Leuchtturmprojekte vor. Die European Drone Defence Initiative soll ein mehrstufiges, technologisch fortschrittliches System zur Aufklärung und Abwehr von Drohnen schaffen, das bis Ende 2027 voll funktionsfähig sein soll. Die Eastern Flank Watch zielt darauf ab, die Kapazitäten der Mitgliedstaaten an der Ostgrenze auszubauen und soll bis Ende 2028 funktionsfähig sein. Der European Air Shield wird einen integrierten, mehrschichtigen Flug- und Raketenabwehrschutz bieten, der vollständig mit dem Kommando- und Kontrollsystem der NATO interoperabel ist. Das European Space Shield soll den Schutz und die Widerstandsfähigkeit von Weltraumressourcen und -diensten gewährleisten.
Industrielle Dimension und Innovation
Eine starke, widerstandsfähige und technologisch innovative industrielle Basis mit Wurzeln in der EU ist entscheidend für Europas Abschreckung. Derzeit werden weniger als 50 Prozent der Rüstungsgüter innerhalb der EU beschafft, überwiegend auf nationaler Ebene. Das Ziel ist, den Anteil der gemeinsamen Beschaffung bis Ende 2027 auf mindestens 40 Prozent zu erhöhen. Künstliche Intelligenz wird als entscheidender Faktor für moderne Kriegsführung identifiziert, insbesondere bei der Produktion kritischer Systeme wie Drohnen, Satelliten und Kommando- und Kontrollsystemen.
Qualifizierung der Arbeitskräfte
Die europäische Verteidigungsindustrie benötigt qualifizierte Arbeitskräfte. Im Rahmen des Pakts für Kompetenzen (Pact for Skills) arbeitet die großangelegte Kompetenzpartnerschaft für Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigung daran, bis 2030 insgesamt 600.000 Menschen für die Verteidigungsindustrie umzuschulen, davon 200.000 bis 2026.
Ukraine als integraler Bestandteil
Die Ukraine wird als zentrale Komponente der europäischen Verteidigungsbereitschaft betrachtet. Europa soll von der Kampferfahrung, innovativen Kreativität und hochgefahrenen Industriekapazität der Ukraine profitieren. Die Kommission arbeitet an einem Reparationsdarlehen, das mit den Barmittelguthaben der immobilisierten russischen Vermögenswerte finanziert wird. Die EU-Ukraine-Drohnenallianz soll Joint Ventures zwischen ukrainischen und europäischen Unternehmen fördern. Ziel ist die vollständige Integration der ukrainischen Verteidigungsindustrie in die europäische Industriebasis.
Militärische Mobilität
Die militärische Mobilität wird als entscheidender Wegbereiter für europäische Sicherheit und Verteidigung betrachtet. Die EU hat über 500 Hotspot-Projekte mit Investitionsbedarf von rund 100 Milliarden Euro identifiziert. Bis Ende 2027 soll ein EU-weiter Militärmobilitätsraum (EU-wide military mobility area) mit harmonisierten Regeln und Verfahren sowie einem Netz von Landkorridoren, Flughäfen und Seehäfen eingerichtet werden. Das Budget für militärische Mobilität soll von 1,76 Milliarden Euro auf 17,65 Milliarden Euro erhöht werden.
Überwachung und Berichterstattung
Die Kommission und der Hohe Vertreter werden jährlich im Oktober einen Verteidigungsbereitschaftsbericht vorlegen. Dieser wird sich auf die Gesamtsituation auf EU-Ebene für die vereinbarten prioritären Fähigkeitsbereiche konzentrieren und den Fortschritt anhand spezifischer Indikatoren dokumentieren. Der Europäische Rat soll regelmäßig politische Leitlinien geben und den Fortschritt jährlich überprüfen.
Internationale Partnerschaften
Die Förderung von Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern ist wesentlich für Fähigkeitsentwicklung, Interoperabilität und Innovation. Bilaterale Abkommen werden mit dem Vereinigten Königreich und Kanada verhandelt, um deren Verteidigungsindustrien und Produkte von gemeinsamer Beschaffung unter dem SAFE-Instrument profitieren zu lassen. Auch mit Japan finden Industriedialoge statt, und für die Zukunft wird eine Zusammenarbeit mit Indien erwogen.
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Die Defence Readiness Roadmap 2030 zum nachlesen: