Die Bundesregierung hat im November 2025 ihre erste Weltraumsicherheitsstrategie vorgestellt und markiert damit einen Wendepunkt in der deutschen Sicherheitspolitik. Das gemeinsam vom Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenminister Johann Wadephul unterzeichnete Dokument erkennt an, dass künftige Konflikte auch im Weltraum ausgetragen werden und definiert den Orbit zu einer eigenständigen militärischen Dimension neben Land, Luft, See und Cyber.
Warum der Weltraum zur Sicherheitsfrage wird
Deutschland ist in extremem Maße von satellitengestützten Diensten abhängig geworden. Navigation, Kommunikation, Zeitsignale, Wettervorhersagen und Erdbeobachtung durchdringen den Alltag aller Bürgerinnen und Bürger. Ein Ausfall dieser Systeme hätte dramatische Folgen: Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr wären nur noch eingeschränkt einsatzfähig, Logistikketten würden zusammenbrechen und Finanztransaktionen könnten nicht mehr durchgeführt werden.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat diese Verwundbarkeit deutlich gemacht. Russland begann seine Invasion im Februar 2022 mit Cyberangriffen auf die satellitengestützte Kommunikation der Ukraine und stört seitdem regelmäßig Satellitensignale, was auch Auswirkungen auf den zivilen Flugverkehr in der Europäischen Union hat.
Bedrohungen aus dem All
Die Strategie identifiziert konkrete Gefahren durch mehrere Staaten. Russland hat wiederholt seine Fähigkeit zur Zerstörung von Satelliten demonstriert, etwa durch einen Anti-Satelliten-Raketentest im November 2021, bei dem rund 1.500 identifizierte Trümmerteile entstanden. Besonders besorgniserregend ist die mögliche Entwicklung einer nuklear bestückbaren Antisatellitenwaffe durch Russland, die gegen den Weltraumvertrag verstoßen würde.
China investiert massiv in militärische Weltraumfähigkeiten und erklärte den Weltraum bereits 2015 zu einem neuen Bereich der Kriegsführung. Das Land verfügt über Fähigkeiten zur kinetischen Zerstörung von Satelliten, elektromagnetische Störsysteme und hat 2025 Nahkampfmanöver zwischen Raumfahrzeugen im Erdorbit demonstriert.
Drei strategische Säulen
Die deutsche Weltraumsicherheitsstrategie ruht auf drei Handlungsfeldern:
Gefahren erkennen und Handlungsoptionen entwickeln: Das ressortgemeinsame Weltraumlagezentrum in Uedem überwacht rund um die Uhr den erdnahen Weltraum und analysiert potenzielle Bedrohungen. Deutschland strebt den Aufbau eines Sensornetzwerks mit globaler Abdeckung an, um Risiken frühzeitig zu identifizieren.
Internationale Kooperation stärken: Deutschland setzt auf enge Zusammenarbeit mit NATO-Alliierten, der Europäischen Union und strategischen Partnern. Die Bundeswehr beteiligt sich seit Oktober 2024 an der multinationalen Weltraumoperation OLYMPIC DEFENDER und arbeitet mit Staaten wie Australien, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Neuseeland und den USA zusammen.
Abschreckung und Resilienz aufbauen: Deutschland will über glaubwürdige Verteidigungsfähigkeiten verfügen, um Angriffe auf Weltraumsysteme abzuwehren und gegnerische Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Die Bundeswehr wird befähigt, Weltraumoperationen durchzuführen und im Ernstfall militärisch im Orbit zu agieren.
Konkrete Maßnahmen und Fähigkeiten
Zur Umsetzung plant Deutschland den Aufbau einer umfassenden nationalen Weltraumsicherheitsarchitektur. Dies umfasst vernetzte Multi-Orbit-Satellitenkonstellationen für Kommunikation, Aufklärung und Überwachung. Das Weltraumkommando der Bundeswehr erhält die Kontrolle über militärische Weltraumsysteme und wird um ein multinationales Führungselement erweitert.
Ein Schwerpunkt liegt auf Responsive Space – der Fähigkeit, schnell Satelliten als Ersatz für ausgefallene Systeme ins All zu bringen. Deutschland kooperiert mit Großbritannien und Norwegen bei Weltraumbahnhöfen in Schottland und Andøya, von denen aus Microlauncher reaktionsschnell Nutzlasten transportieren können.
Die Bundesregierung investiert in zukunftsweisende Technologien wie Inspektions- und Wächtersatelliten, Raumgleiter, On-Orbit-Servicing und hypersonische Raumflugzeuge. Diese können von konventionellen Flugplätzen starten und landen, sind wiederverwendbar und erzeugen nahezu keinen Weltraummüll.
Europäische Dimension
Deutschland nimmt eine gestalterische Führungsrolle beim Aufbau einer europäischen Weltraumsicherheitsarchitektur ein. Das Land hält an der IRIS²-Satellitenkommunikationskonstellation fest und ergänzt diese mit nationalen Fähigkeiten. Die Nutzung europäischer Systeme wie Galileo für Navigation und GOVSATCOM für sichere Regierungskommunikation soll die digitale Souveränität stärken.
Europa muss nach dem Willen der Bundesregierung unabhängigen Zugang zum Weltraum mit mehreren wettbewerbsfähigen Trägersystemen sicherstellen. Die Europäische Weltraumorganisation ESA spielt dabei eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Schwerlastraketen bis hin zu Systemen für den cislunaren Raum um den Mond.
Rechtliche und diplomatische Initiativen
Auf internationaler Ebene setzt sich Deutschland für Normen verantwortlichen Staatenverhaltens im Weltraum ein. Im Rahmen der Vereinten Nationen hat Deutschland mehrere Resolutionen mitgestaltet, die auf ein Verbot unverantwortlicher oder bedrohlicher Verhaltensweisen abzielen. Deutschland verpflichtete sich 2022 öffentlich, keine destruktiven Tests mit boden-, luft- oder seegestützten Anti-Satelliten-Raketen durchzuführen.
Die Bundesregierung prüft, wie eine nachhaltige Rechtsordnung für den Weltraum gefördert werden kann, insbesondere für das Höhenband zwischen 80 und 100 Kilometern, das zunehmend durch unbemannte Plattformen und hyperschallfähige Flugkörper genutzt wird.
Industriepolitische Weichenstellungen
Die Strategie definiert Raumfahrttechnologien als Schlüsseltechnologien der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Deutschland verfügt über eine starke Raumfahrtindustrie mit etablierten Unternehmen und einer dynamischen New-Space-Community aus Start-ups. Diese industrielle Basis soll durch regelmäßige Auftragsvergabe hoheitlicher Bedarfsträger und beschleunigte Zertifizierungsverfahren gestärkt werden.
Der Space Innovation Hub in der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR soll ausgebaut werden, um deutschen Anbietern von Raumfahrtdienstleistungen wettbewerbsfähiger zu machen und öffentlichen Bedarfsträgern schnelleren Zugang zu innovativen Technologien zu ermöglichen. Institutionelle Forschung, insbesondere am DLR und den Fraunhofer-Instituten, bildet die Grundlage für künftige Entwicklungen.
Governance und Koordinierung
Zur strategischen Steuerung schafft Deutschland neue Strukturen. Ein Koordinierungsstab für Weltraumsicherheitwird bei absehbaren oder eingetretenen Weltraumsicherheitsereignissen aktiviert, sammelt Informationen und erarbeitet Handlungsoptionen. Der bestehende Ressortkreis Weltraumsicherheit soll in einen interministeriellen Ausschuss des Nationalen Sicherheitsrats umgewandelt werden.
Das Weltraumkommando der Bundeswehr übernimmt unter Dimensionsverantwortung der Luftwaffe die Planung und Führung von Weltraumoperationen. Eine neue Weltraumakademie der Bundeswehr soll Personal mit Weltraumexpertise ausbilden.
Die Strategie markiert einen fundamentalen Wandel im deutschen Sicherheitsverständnis und erkennt an, dass Freiheit, Wohlstand und Sicherheit des Landes auch im Weltraum verteidigt werden müssen.
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