Nach wochenlangem Tauziehen zwischen Union und SPD liegt ein überarbeiteter Kompromiss für das neue Wehrdienstgesetz vor. Wie die WELT exklusiv berichtet, haben beide Regierungsfraktionen nach dem Eklat um Verteidigungsminister Boris Pistorius einen neuen Anlauf unternommen und ihr Konzept dem Verteidigungsministerium vorgelegt.
Hintergrund des Konflikts
Vor rund zwei Wochen hatte Pistorius eine bereits ausgehandelte Einigung zwischen CDU/CSU und SPD in letzter Minute gestoppt und dabei auch Mitglieder seiner eigenen Fraktion scharf kritisiert – eine politische „Blutgrätsche“, wie Beobachter kommentierten. Der Kern des Streits: Während die SPD am Prinzip der Freiwilligkeit festhält, fordert die Union verbindliche Mechanismen, die bei Bedarf automatisch eine Wehrpflicht auslösen.
Das neue Vier-Stufen-Modell
Der überarbeitete Kompromiss sieht nun ein gestuftes Vorgehen vor, das beiden Seiten entgegenkommen soll:
Stufe 1 behält die geplante Freiwilligkeit bei: Alle 18-Jährigen werden angeschrieben und können ihr Interesse am Wehrdienst bekunden. Die Rückmeldung ist zwar verpflichtend, aber nur wer Interesse zeigt, kann gemustert und eingezogen werden.
Stufe 2 greift, wenn die Aufwuchsziele verfehlt werden: Dann soll die Musterung verpflichtend werden. Taugliche Kandidaten werden gezielt angesprochen, ob sie nicht doch freiwillig dienen möchten.
Stufe 3 führt eine sogenannte Bedarfswehrpflicht ein, falls der Personalbedarf weiterhin nicht gedeckt werden kann. Wer per Zufallsauswahl gezogen wird und den Dienst verweigert, muss Ersatzdienst leisten. Entscheidend: Diese Stufe kann nur durch einen Bundestagsbeschluss aktiviert werden, nicht mehr durch eine bloße Rechtsverordnung des Ministers – eine wichtige Konzession an die SPD.
Stufe 4 gilt im Spannungs- oder Verteidigungsfall und sieht dann eine allgemeine Wehrpflicht vor.
Schnellerer Aufwuchs und frühere Musterung
Ein zentraler Punkt der Überarbeitung betrifft den Zeitplan: Der ursprünglich für den 1. Juli 2027 geplante Start der Musterung ganzer Jahrgänge soll gestrichen werden. Stattdessen sollen die Musterungskapazitäten sofort ausgebaut werden, um den Personalbedarf schneller zu decken.
Auch beim Aufwuchsziel gibt es Änderungen: Statt wie von Pistorius vorgesehen die NATO-Vorgabe von 260.000 Soldaten bis 2039 zu erreichen, soll dies nun bereits 2035 geschehen – wie von der NATO gefordert. Das Verteidigungsministerium muss dem Bundestag künftig halbjährlich über die Fortschritte berichten.
Statusfrage neu geregelt
Auf Druck der Union wird auch der Soldatenstatus angepasst: Anders als im ursprünglichen Entwurf von Pistorius vorgesehen, sollen Wehrdienstleistende für sechs oder neun Monate wieder den Status „Freiwillig Wehrdienstleistende“ (FWDL) erhalten. Den Status „Soldat auf Zeit“ (SaZ) mit höherer Besoldung gibt es erst ab einer Verpflichtung von einem Jahr.
Verfassungsrechtliche Bedenken bleiben
Ob das geplante Losverfahren verfassungskonform ist, bleibt umstritten. Während ein von der Union in Auftrag gegebenes Gutachten des Verfassungsrechtlers Udo Di Fabio das gestufte Verfahren für zulässig hält, bestehen in der SPD-Fraktion weiterhin erhebliche Zweifel. Kritiker sehen im Losverfahren eine Form der Willkür, die mit dem Gleichheitsgrundsatz kollidieren könnte.
Ob der neue Kompromiss diesmal beide Fraktionen passiert und das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 2026 in Kraft treten kann, bleibt abzuwarten.
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